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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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begleiten, aus. Gott ist ihm wohl genug, dachte sie bitter. Mit zwiespältigen Gefühlen sah sie ihn mit Koffer und Adler zur Kutsche gehen. Im letzten Moment gab sie ihm Handschuhe und Schal mit. Sie küßte ihn unbeholfen, sich ihres Bedürfnisses bewußt, eine gute Mutter abzugeben. Isaac hatte den Jungen an sich gedrückt und ihm gezeigt, daß er ihn vermissen würde. Winken, rufen, schauen. Das Kind verschwinden sehen.
    Es kamen Briefe, mit eiserner Regelmäßigkeit. Das Curriculum entspreche den Erwartungen, die Dozenten verstünden ihn zu fesseln, der Aar stehe auf seinem Bücherregal. Weihnachten werde er nach Hause kommen, Grüße an Charlotte.
    Er kam Weihnachten nicht nach Hause. Er war krank geworden und lag mit hohem Fieber im Bett. Der Hausmeister schrieb einen kurzen Brief, er habe den Doktor kommen lassen und verlasse sich darauf, daß die gnädige Frau ihm die Kosten erstatten werde. Es stehe schlecht um den jungen Herrn.
    Elizabeth packte eine Reisetasche. Isaac, zufällig auf Urlaub, begleitete sie ungefragt. Als sie abends in Cambridge ankamen, betäubt von dem Lärm und dem Geschaukel der Fahrt, als sie verloren mit den Taschen zu ihren Füßen vor dem Tor der Studentenunterkunft standen, als der Hausmeister ihnen öffnete, schweigend, mit starrem Gesicht – da wußte Elizabeth, daß ihr jüngster Sohn gestorben war.
    In dem spartanisch eingerichteten Studentenzimmer lag Benny ausgestreckt auf dem Bett, das Kinn hochgebunden und die Hände fromm auf der Brust gefaltet. Der Hausmeister wirbelte die Treppe wieder hinunter, um den Arzt zu holen. Isaac, außer sich vor Kummer, setzte sich auf das Bett und küßte Benny auf das wächserne Gesicht. Elizabeth zog sich ans Fenster zurück. Ihr war, als wäre sie nicht da.
    »Schwere Fieberattacken«, sagte der Arzt. »Heute früh ist er dem erlegen. Der Pfarrer war dabei. In der Nacht habe ich noch einen Aderlaß gemacht, aber es half alles nichts mehr. Grausam, so ein vielversprechender Knabe.«
    Er drückte Elizabeth die Hand. Isaac trocknete seine Tränen mit einem riesigen Taschentuch und bot sich als Gesprächspartner für die geschäftliche Abwicklung an. Er bezahlte den Arzt auf dem Flur; er habe es für unehrerbietig gehalten, das in Gegenwart Bennys zu tun, sagte er später.
    Es wurde ein Gasthaus gesucht. Isaac traf Absprachen für das Begräbnis, den Gottesdienst, die Räumung des Zimmers. Verstört saßen sie in ihrem Quartier zu Tisch.
    »Ich muß einfach etwas essen, ich kann es auch nicht ändern«, sagte Isaac. »Tut mir leid.«
    Nur zu, iß ruhig, wollte sie sagen. Aber sie sagte nichts.
    »Geh doch nach oben und leg dich ein Stündchen hin. Du bist ganz grau im Gesicht.«
    Sie lag unter ihrem Reisemantel auf dem Bett. Isaac war zu Benny zurückgegangen, um nochmals Abschied zu nehmen und ein Weilchen bei ihm zu wachen.
    Sie wußte sich mit diesem Verlust keinen Rat. Eine unerträgliche, unziemliche Erleichterung hatte sie verspürt, und zugleich den dumpfen Kummer, der mit vertanen Chancen einhergeht. Sie fiel in Schlaf.
    Einer von Bennys Dozenten leitete den Gottesdienst. Benny hätte es so gewollt, hatte Isaac gesagt, und wir müssen tun, was er möchte. Charlotte kam, verweint und durcheinander. Palliser schrieb, um sich zu entschuldigen und sein Beileid zu bekunden. Im allerletzten Moment kam Jamie, vom Hafenmeister von seinem Schiff gezerrt, sowie er anlegte.
    Elizabeth erhob sich und kniete zum richtig Moment. Sie lauschte dem Chorgesang und blickte während der Gebete auf ihren Schoß. Den Text hatte der Pfarrer, selbst noch ein junger Mann, dem ersten Brief des Petrus entnommen: »Denn alles Sterbliche ist wie Gras, und all seine Schönheit ist wie die Blume im Gras. Das Gras verdorrt, und die Blüte verwelkt.«
    Elizabeth blickte scharf in sein ernstes Gesicht, als er die Predigt mit diesen Worten begann, so als würde er etwas sagen, was sie mitnehmen, bewahren, benutzen konnte, woran sie die Erinnerung an diese absurden Tage knüpfen konnte. Doch schon bald hörte sie nicht mehr, was er sagte.
    Im Mittelschiff der Kirche war ein Grab ausgehoben worden. Sie fand es eigenartig, daß die Hinterbliebenen nicht nach draußen zu gehen brauchten, aber Isaac sagte, dies sei das allerbeste. Benny habe sich doch für die Kirche entschieden, und so könnten sie diese Wahl würdigen.
    Jamie und Isaac suchten Bennys Habseligkeiten zusammen; der Adler kam mit der Postkutsche mit nach Hause, auf Charlottes Schoß, die immer wieder mit der

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