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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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nehmen. Ein Gelehrter in der Familie, sehr gut.«
    Nat glaubte an die Musik, Benny glaubt an Gott. Warum ertrage ich das eine und das andere nicht? Ich muß mit ihm reden. Er entgleitet mir.
    Abends saß sie allein im Zimmer, als Benny gute Nacht sagen kam. Isaac war ausgegangen.
    »Komm, setz dich kurz zu mir.«
    Der Junge trat zögernd an den Kamin. »Ich muß ins Bett. Hab morgen eine Prüfung.«
    »Na, komm, setz dich.«
    Er ließ sich vorsichtig auf dem äußersten Rand eines geraden Stuhls nieder und sah sie fragend an.
    »War das dein Ernst, heute nachmittag?« Was für eine Frage, Benny meint immer alles ernst, was er sagt. Genau wie James.
    »Cambridge ist am besten, sagt der Direktor. Für Theologie.«
    »Und das ist es, was du am liebsten möchtest.«
    Er nickte. Jetzt nicht abschweifen, nicht von allerlei wunderbaren Fächern faseln, die man studieren kann, Literatur, Jura, Philosophie – hüte dich.
    »Da bist du bestimmt richtig aufgehoben«, sagte sie. »Jemand, der so gerne und gut lernt wie du, gehört auf eine Universität. Aber warum Theologie, Benny?«
    Er wippte vor und zurück und schwieg.
    »Hat der Direktor dir das empfohlen? Ein Lehrer?«
    »Ich habe morgen eine Lateinprüfung. Stammformen. Ich möchte sie mir gern noch kurz anschauen, oben.«
    »Ist es, weil du so gern in der Kirche bist?«
    Benny schien auf einmal in sich zusammenzufallen und saß mit gekrümmtem Rücken auf seinem Stuhl. Er stützte die Ellbogen auf die Knie und ließ den Kopf auf seinen Fäusten ruhen.
    »Man weiß, wie es zu sein hat«, sagte er, »wie man zu leben hat. Was wichtig ist. Das muß man tun. Dann ist es gut. Ich bin gerne in der Kirche, es ist sehr schön dort, vor allem wenn wir singen. Aber es geht um das, was der Pfarrer sagt. Was in der Bibel steht. Daß man gerettet werden kann.«
    Sein Gesicht hatte sich dunkelrot gefärbt. Elizabeth bemühte sich, ihn nicht anzusehen und ihm trotzdem das Gefühl zu vermitteln, daß sie ihm zuhörte. Sie sah ihre Hände verkrampft vor Anspannung auf den Stuhllehnen liegen.
    »Er erklärt schwierige Dinge. Das möchte ich auch lernen. Warum Menschen sterben. Wie es danach weitergehen soll. Über Trost und Gnade. Gott sieht alles. Daß man nie allein ist. Nie.«
    Es war, als vertraue sie sich jetzt, da sie zweiundfünfzig geworden war, endlich wieder dem Leben an und könne ihre zusammengebastelte Familie, ihre Freunde, ihren Garten genießen.
    Abends spazierte sie an Isaacs Arm tief in den Obstgarten hinein. An die kunstvoll geschichtete Steinmauer gelehnt, blickten sie über das hügelige Land voller grasender Tiere.
    Benny bestand seine Aufnahmeprüfung für die Universität mit Glanz, und Elizabeth half ihm beim Einpacken von Büchern und Kleidung. Der Holzvogel, den Isaac von der dritten Reise mitgebracht hatte, mußte auch mit.
    »Ich glaube doch, daß es ein Fischadler ist«, sagte Isaac.
    »Nein.« Benny klang entschieden. »Es ist ein Aar.«
    Jamie, schon vor einiger Zeit zum ersten Leutnant befördert, bekam das Kommando über ein bescheidenes Schiff. Dreißig Jahre alt, dachte Elizabeth. Ein erwachsener Mann. Soll er doch endlich Ernst machen mit dem Mädchen, warum zaudert er so?
    »Sie möchte schon«, sagte er. »Es liegt an mir. Kann ich ihr das antun, denke ich immer, jemanden zu heiraten, der ständig fort ist? Sie hat Angst, wenn ich auf See bin. Das habe ich anfangs nicht verstanden, ich bin nicht ängstlich veranlagt. Was kommt, das kommt. Aber dann habe ich angefangen, mir Gedanken zu machen. Du warst immer allein, wir fanden das normal, aber für dich muß das doch schlimm gewesen sein, oder?«
    »Du mußt nicht für sie entscheiden. Wenn sie dich liebt, ist sie dem gewachsen, du wirst sehen.«
    Enkelkinder, dachte sie. Leben im Haus, Spielzeug, Holznäpfe mit Breiresten. Verdutzt registrierte sie, daß ihr diese Vorstellung Freude machte.
    Vorerst blieb eine Verlobung freilich aus. Er muß nachdenken, so alt ist er ja noch nicht, James war weit in den Dreißigern, als wir heirateten. Doch in seiner freien Zeit bummelte Jamie nicht mehr mit seiner Freundin durch die Hauptstraße. Er ging in seinen glänzenden Stiefeln zum Stall, trieb sein Pferd über die Hügel und kam abends verschwitzt zurück.
    »Jamie ist kein Grübler«, sagte Isaac. »Abwägen und entscheiden ist nicht seine Sache. Er wartet, bis es klar ist, und dann tut er, was zu tun ist. Mach dir keine Sorgen.«
    Benny reiste nach dem Sommer ab. Er schlug Elizabeths Angebot, ihn zu

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