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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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Knochige seines Vaters fehlte ihm gänzlich. Dickes Haar, das sich auf seinem Schädel kringelte, fröhliche Augen, kurze, schnelle Bewegungen. Nat würde ihm bald über den Kopf wachsen. Es war ihr unfaßbar, wie diese beiden Jungenkörper etwas miteinander zu tun haben konnten. Die Söhne sind vom Vater, dachte sie, James findet sich in verschiedenen Teilen seiner Söhne wieder. Der Jüngere hat seinen Körperbau bekommen und der Ältere seine Tatkraft, seine Unternehmungslust.
    Nicht mehr lange, und Jamie würde zur Seefahrtsschule in Portsmouth abreisen. Sie stand mit dem ungelesenen Brief in der Hand am Fenster und lauschte dem Gespräch, das sich zwischen dem Mann und dem Jungen entspann. Aufregung über die Rückkehr der Resolution; würde Jamie noch zu Hause sein, wenn das Schiff ankam, oder schon auf der Schule, vielleicht würde ja Portsmouth der Anlaufhafen sein, das lag nahe, dann würde er seinen Vater als erster sehen, mit der ganzen Klasse würden sie das Schiff erwarten, er in der neuen Uniform mit den Stiefeln, da würde er seinem Vater noch eher begegnen als sein Bruder und seine Mutter.
    Während Palliser ihren Sohn mit Erzählungen von der Expedition überhäufte, zog sich Elizabeth in den Garten zurück. Den Brief hatte sie in den Halsausschnitt ihres Kleides gesteckt. Die Sonne hatte Kraft bekommen. Gib dich doch der Wärme hin, dachte sie, dem, was jetzt geschieht: ein Sohn, der begeistert die Projekte seines Vaters verfolgt, ein Freund, der dich tröstet. Schieb doch das Schwierige beiseite, und leb einfach, jetzt. Sie wischte die Gartenbank sauber, setzte sich und öffnete den Brief. Er ist vom Entdecken gesättigt, dachte sie, er ist auf dem Weg nach Hause.
    Hugh Palliser wird Dir zweifellos erzählen, wo ich gewesen bin und was ich dort vorfand. Es ist eigenartig, hier am Kap wieder in unsere Welt zu kommen. Ich tafele auf Banketten und Diners und tausche mich mit Kollegen aus. Ich begegnete einem vertrauenswürdigen Franzosen, Crozet, der gleichfalls die Südsee befahren hat. Wie gern würde ich meine Daten über die seinen legen, damit sich die Lücken schließen. Was wir wissen! Wo vorher nur Leere war, die man mit stupiden, inakkuraten Phantasien ausfüllte, ist jetzt Gewißheit. Exakte Ortsbestimmungen, Beschreibungen von Inseln und Völkern. Ich hörte Geschichten, die Dich in Staunen versetzen werden, über Kriegsführung und Eßgewohnheiten, und kann sie aus eigener Erfahrung bestätigen. Muß jetzt aufhören. In einem Monat bin ich bei Dir, das Ruder wird noch repariert. Ich hatte erwartet, hier eine Nachricht von Dir vorzufinden, und machte mir schon ein wenig Sorgen, als nichts aus Mile End auf mich wartete. Verlorengegangen? Ich baue auf Dich und kann nicht glauben, daß irgend etwas sein sollte. Sage mir also, daß irgend etwas mit dem Transport fehlgegangen sein muß. Wir werden diesen Winter hart arbeiten müssen, ich habe einen Berg Daten, aus denen ein Buch zu machen ist. Bekam übrigens ein Exemplar von Hawkesworth ' Buch unter die Augen und bin fast geplatzt vor Wut. Nie wieder! Diese sogenannten Intellektuellen kratzen alles aus dir heraus und brüsten sich dann mit Dingen, an denen sie keinerlei Anteil hatten und von denen sie nichts verstehen! Eine Schande ist das. Und wenn ich mir vorstelle, daß er ein Vermögen damit verdient hat! Aber ich muß das von mir schieben, geschehen ist geschehen. Es wird mir kein zweites Mal passieren.
    Liebe Elizabeth, bald werde ich bei Dir sein, und wir können alles besprechen. Frag Palliser nach meiner Route. Ich versiegele die Briefe jetzt und lasse sie wegbringen. Umarme die Kinder!
    Drängewasser. Wie durch einen Deich sickerndes Wasser war ihr Kummer mühsam, unter hohem Druck zum Vorschein gekommen. Sie sollte sich nichts mehr fragen, sie sollte sich umdrehen und das Gesicht dem vollen Fluß zuwenden. Aus der Küche tönten die Stimmen von Palliser und Jamie herüber.
    »Aber sie haben doch genug zu essen«, sagte ihr Sohn, »sie haben Schweine und Vögel, wieso machen sie es denn? Das ist verboten!«
    »Es ist das andere Ende der Welt, Junge. Wir verstehen sehr viele Dinge nicht. Sie sprechen eine andere Sprache. Vielleicht sind sie davon überzeugt, daß sie so die Kraft ihrer Feinde in sich aufnehmen. Aus ihrer Sicht tun sie nichts Falsches, es ist ihre Art, Kämpfe auszutragen. Dein Vater findet, daß man sie nicht nach unseren Regeln beurteilen kann. Es ist so anders dort, das kann man sich nur schwer vorstellen. Schaurig,

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