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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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großer Körper würde neben ihr im Bett liegen, die Nacht von unvermitteltem Knarren und Schnarchen erfüllt sein. Sie würde ihm gegenübersitzen. Zögernd würden sie anfangen, ihre Geschichten zu erzählen, du zuerst, nein, lieber erst du. Hier am Tisch. Daß kein kleines Kind da war, würde er schon sehen, riechen, spüren, sobald er über die Schwelle trat. Ich muß mich freuen, dachte sie, das gehört sich so. Sie zerknüllte den Brief zwischen den verkrampften Händen. Palliser legte seine Hand auf die ihre und zog vorsichtig das Papier heraus. Er berührte kurz ihre Schulter.
    »Ach, Mädchen«, sagte er sanft, »ich helf dir schon. Danach muß er nie mehr fort, dafür sorge ich.«
    Ja, dachte sie, ja. Ein erstrebenswertes Ziel, ein Versprechen. Einem Mann am Ende seiner glänzenden Laufbahn, zweimal um die Erde, Zierde für die Wissenschaft und die Kartographie, ist es vergönnt, sich in seinem Ruhm zu sonnen und fortan zufrieden zu Hause zu bleiben. Genug zu tun. Er konnte seine Reisebeschreibung diesmal selbst bearbeiten und herausgeben und brauchte sie sich nicht von einem verderben zu lassen, dem es nur ums Geld ging. Er konnte seine Söhne kennenlernen, unbehelligt von der Aufregung einer bevorstehenden Abreise. Er würde seine Frau sehen.
    Er zählt darauf, daß ich das normale Leben aufrechterhalte, ich muß die Hüterin des Heimathafens sein, ich muß den Kindern Tag für Tag das Bild ihres Vaters vorhalten, damit sie nicht erschrecken, wenn er plötzlich leibhaftig hereinkommt. Ich muß die Stachelbeeren einmachen, ich muß dafür sorgen, daß im Garten nichts zugrunde geht. Daß ich das alles tue, ist Voraussetzung dafür, daß er fortkann. Daß ich dazu in der Lage bin, ist Grund dafür, daß er zurückkommen kann. Der Wind bläst ihn am Treibeis des Südpols entlang, doch in seinem Kopf existiert ein blühender Garten in einer Straße in London, ein Garten mit fröhlich spielenden Kindern und einer Frau, die sich freuen kann.
    Eine Frau, die glücklich sein kann für ihn, mit ihm. Eine Frau, die ihn in seinem Kampf gegen Grafen und Barone unterstützt, eine standhafte Frau, die weiß, was sie will, und danach handelt.
    So eine Frau war sie gewesen und war sie in seinen Gedanken zweifellos noch immer. In einem Monat würde er sie sehen. Sie spürte, wie alle Kraft, die sie noch besaß, aus ihrem Körper wegfloß. Ich muß sitzen bleiben, dachte sie, nicht umfallen, nicht auf den Boden.
    Der neben ihr, der verständnisvolle Nachrichtenüberbringer, hatte den Arm um ihre Schultern gelegt. Er wußte, wie das war, wie Haus und Schiff jedes seinen eigenen Weg gingen, und wie erschreckend es sein konnte, wenn die beiden Linien nach einiger Zeit wieder zusammenkamen. Daß er das verstand, daß sie zumindest dachte, daß er es verstand, ließ den letzten Rest ihrer Gefaßtheit dahinschmelzen. Sie wurde eins mit dem heillosen Durcheinander in ihrem Innern. Unbeherrschter, fliegender Atem, Tränen wie Frühlingsregen, ein Körper, der schamlos fröstelt und bebt.
    Der Mann neben ihr knöpfte seine Manschette auf, schob den blaßblauen Ärmel seiner Jacke hinauf und krempelte sein Hemd bis über den Ellbogen hoch. Ohne nachzudenken, legte sie die Wange an die warme Haut, ihre Lippen fühlten die festen Muskeln darunter, sie rieb mit dem Gesicht über den behaarten Unterarm, ließ Speichel und Tränen freien Lauf. Er strich ihr mit der anderen Hand übers Haar und deckte ihren Kopf zu, so daß sie auf dem tröstenden Arm liegenbleiben konnte, solange es nötig war. Ein nasses Gesicht. Ein nackter Arm.
    Als bekäme sie einen Schwall Luft. Ihre Schultern entspannten sich, das Schluchzen wurde gleichmäßig, und schließlich beruhigte sie sich. Still lag sie an seinem Arm.
    So hatte sie früher ihr Kind besänftigt, wenn so ein kleines Baby verstört war und nicht fassen konnte, warum – sie hatte es auf ihre nackte Haut gelegt und beruhigt. So machte man das, von selbst, ohne Plan. Es geschah einfach. Sie lächelte, und seine Härchen kitzelten an ihrem Mund. Jedes Zeitgefühl war verschwunden, als hätte der Tröster sie für eine Weile aus diesem Vormittag herausgehoben. Sie trocknete ihre Wangen – mit dem Geschirrtuch, seinem Taschentuch? – und hörte eilige Schritte durch die Waschküche hallen.
    »Mam! Bist du da?« Ihr ältester Sohn stürmte herein und blieb abrupt stehen, als er Kapitän Palliser am Fisch sitzen sah. Jamie hatte eine kräftige, gedrungene Statur, das Hochaufgeschossene,

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