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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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ihr machte die Weite und die unvorstellbar große Masse jenes Weltgewässers angst, wenn sie darüber nachzudenken versuchte. Keine Balken, keine Wege, keine Begrenzungen. Für James lag jeder Weltteil in Wasser, und für sie war jedes Gewässer an Land gebunden.
    Sie stützte sich auf die Kaimauer und schaute zu, wie die kleinen Wellen gegen die Steine schlugen. Die Kräusel kamen fröhlich an, wie hüpfende Kinder, wurden gleichgültig zurückgeschickt und sprangen wohlgemut in die entgegengesetzte Richtung. Unbegreiflich.
    James konnte nicht schwimmen. Eigentlich hatte sie noch nie von einem Seemann gehört, der es konnte. Es ist besser, sagte er, du bist verloren, wenn du ins Wasser gerätst, ob du schwimmen kannst oder nicht. Ein rascher Tod ist einem langen Ringen vorzuziehen, das ohnehin einen verhängnisvollen Ausgang nimmt. Auch das verstand sie nicht recht. Wenn ich das Wasser liebte, würde ich mich darin zu Hause fühlen wollen, dachte sie, dann würde ich hineintauchen und wie ein glücklicher Fisch in meinem Element schwimmen wollen. Wie kann man sein Leben nur so einrichten, daß eine Haut aus Holz von der größten Liebe trennen muß?
    Auf der anderen Seite des Flusses lagen die perlweißen Paläste von Greenwich vor den Flügeln; sie sah kleine Gestalten hin- und herlaufen und ein kleines Boot am Steg anlegen. In diesen Gebäuden schlug das Herz der Admiralität, dort wurde über ihrer beider Leben entschieden. Elizabeths Leben. In wenigen Wochen würde James dort in einer schnellen Kutsche vorfahren, er würde die Treppen hinaufrennen und eilends seine Auftraggeber aufsuchen, um von seiner Reise zu berichten. Erst danach würde er übersetzen und seine Familie begrüßen. Sein Haus betreten. Seine Frau umarmen.
    Aber es war so, als zwänge sich ein früheres Wiedersehen vor das jetzige, als stehe ein aufgelöstes junges Mädchen zwischen ihren Rippen. Mit großen Schritten war er damals, nach der ersten Weltreise, ins Haus getreten, den Hut in der Hand, braungebrannt, muskulös. Sie hatte niedergeschlagen am lauen Herd gestanden. Frances war mit den Jungen an ihrer Seite in den Flur ausgewichen. Anderthalb Meter von ihr entfernt blieb er stehen, sein Blick huschte rasch über Wände und Fußboden – keine Puppe, kein Kinderstuhl, kein zerknittertes Schürzchen mit Breiflecken. Sie sah seine Wangen grau werden.
    Ja, sie hätte sich in seine Arme schmiegen müssen, natürlich, er war Jahre fort gewesen und kehrte zurück, es entstand auch eine Umarmung, doch Elizabeth zerfloß nicht, sie blieb sich ihrer Haut bewußt, die die Geschichte einfriedete, welche sie noch erzählen mußte. Steif wie ein Stück Holz hatte sie in jener Nacht neben ihm gelegen. Er war verzweifelt gewesen, untröstlich, doch sie war schon über die Untröstlichkeit hinaus. Die Geschehnisse mußten ihm in ihrer traurigen Reihenfolge unterbreitet werden. Sie hatte sich im Bett aufgesetzt und die Worte mit unbewegter Stimme gesprochen, geradeaus auf die bleiche Wand starrend, in viel zu hohem Tempo.
    Nie krank, das Kind, das Mädchen, ihr Mädchen, ihrer beider Mädchen. Beglückt über jeden Morgen, über jede Gelegenheit, durch Küche und Zimmer zu tapsen, über die Blumen im Garten, die sie bei ihrem Namen nennen konnte, oder über das Gemüse auf dem Markt, bei dessen Auswahl sie ganz ernsthaft mithalf. Sie war vernarrt in ihre Brüder, konnte stundenlang neben Jamie stehen und ihm beim Zeichnen zusehen. Ihre Augen blitzten vor Vergnügen, wenn Nat ihr ein Liedchen beibrachte. Als die Nachbarsfrau mit einer Tüte Zuckerkugeln kam, teilte sie sie auf dem Tisch in drei Häuflein auf: für Jamie, für Nathaniel, für sie selbst.
    Weiter. Nicht ausweichen. Das geht später noch.
    Frances holte das Pferdchen vom Dachboden, du weißt schon, das Pferd auf dem Brett mit Rädern, mit dem die Jungen früher spielten, es hatte eine echte Mähne, und man konnte es an einem alten Stück Schiffstau hinter sich herziehen. Entzückt war sie, hingerissen. Sie zog das Tier durch den Garten, gab ihm Gras und Apfel und Brot. Wir haben nicht aufgepaßt. Ich habe nicht aufgepaßt. Frances und ich waren in der Waschküche und wuschen die Laken. Mit einem Mal war es still im Garten. Wir vermißten ihre Stimme und sahen einander über dem ausgewrungenen Laken in unseren Händen an. Das war unmittelbar vor dem Knall. In der Stille hörten wir Pferdehufe. Jemand schrie. Ein Krachen, donnerndes Getöse von Holz auf Stein. Es ist meine Schuld. Ich habe

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