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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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es würde sich in einem neuen Leben abspielen, es wurde von einem strahlenden Neubeginn eingeleitet. Greenwich, die neue Tochter, das perfekt geschriebene Reisebuch. Das war die Wahrheit, die sie am Zwicken ihres Rockbunds fühlen konnte, die Wahrheit, die drinnen auf dem Tisch lag in Form von Logbuch und Journal, die Wahrheit, die sie beide verband und vereinte. Sie löste den Rücken vom Baumstamm und ging ins Haus, ihrer beider Haus.
    »Komm, wir gehen ein Stück«, sagte er. »Zieh was Warmes an.« Er saß zurückgelehnt am Küchentisch, mit ausgestreckten Beinen. Im Hintergrund war Geigenmusik zu hören, eine trübsinnige Melodie, mit stets anderen Akzenten und neuen Ausschmückungen wiederholt. Sie blieb stehen und lauschte, fasziniert, zerstreut, bis James sie beim Arm faßte und nach draußen zog. Er schlug den Pfad zwischen den Wiesen ein, graues Oktoberlicht hing über den Feldern, lila fast, mit Dampfschwaden darin. Sie hakte sich bei ihm ein und paßte ihre Schritte unwillkürlich den seinen an, rechtes zu rechtem Bein, linkes zu linkem. Er lächelte und drückte fest ihre Hand.
    »Wir müssen reden. Das Haus lenkt mich ab. Draußen ist es besser.«
    Ja, ein Gespräch, dachte sie. Sagen, was ich denke, auch die beschämenden, schiefen Dinge erzählen. Sie schwieg.
    »Es ist ein Brief aus Portsmouth gekommen«, sagte er, »ein Bericht über Jamie. Er macht sich gut dort, vor allem im Zeichnen ist er überdurchschnittlich. Sie nehmen die Schüler auf einem Küstenschiff mit und lassen sie von dort aus das Land zeichnen, all die Klippen und Einbuchtungen und Felsformationen. Jamie ist gut darin. Er wird ein guter Kartograph. Zuverlässig. Genau.«
    Weil er keine Phantasie hat, dachte sie. Ihr ältester Sohn war ein ernsthafter Junge, der das Leben nahm, wie es kam. Sie konnte sich genau vorstellen, wie er mit der Zeichentafel auf den Knien auf dem Achterdeck des Schulschiffes saß und unverwandt zur Küste hinüberspähte. Dort würde er geschichtete Felsen sehen und Bäche, die durch Schluchten ins Meer hinabstürzten. Keine Ritter auf trabenden Pferden, keine brennende Festung, keine verzweifelte Frau auf einer Klippe.
    »Ich hoffe, daß sich Nathaniel nächstes Jahr genauso gut machen wird«, brummte James neben ihr. »Ich mache mir Sorgen um ihn. Er sieht so blaß aus und scheint keinerlei Interesse an Dingen zu haben, für die sich Jungen seines Alters erwärmen. Hat er Freunde? Er spielt nie draußen. Ich sehe ihn nur zu diesem alten Organisten aus dem Haus gehen. Ich kenne ihn nicht gut genug, du weißt mehr darüber. Ist er noch nicht reif für die Seefahrtsschule, soll er lieber noch ein Jahr damit warten?«
    Jetzt muß ich es sagen, dachte sie. Daß es Menschen gibt, die auf einem Schiff nicht glücklich sind, und daß dieser Sohn so einer ist. Er wird es nicht verstehen. Nein, er wird es nicht akzeptieren.
    »Nat interessiert sich für Musik.« Sie versuchte, ihre Stimme tief und ruhig zu halten. »Herr Hartland hält ihn für begabt, für einen talentierten Musiker. Nat sollte seiner Meinung nach bei einem richtigen Geiger weiter lernen. Hartland sagte: Dieser Junge ist eine Freude für einen Lehrer, er erfaßt alles sofort, und es ist ein Genuß, ihm zuzuhören.«
    »Und dann?« James blieb stehen und wandte sich ihr zu. »Geiger werden? Was ist das? Undenkbar! Das ist kein Beruf. Meine Söhne werden Seeleute. Ich habe sie beide praktisch von ihrer Geburt an auf meine Besatzungslisten setzen lassen. Niemand sonst bekommt eine solche Chance. Die dürfen sie nicht wegwerfen. Trompeter bei der Marine zur Not, aber zur See wird er gehen!«
    »Er möchte nicht, James.«
    Seine Augen wurden dunkler. »Alle meine Söhne gehen zur See. Zwei sind gestorben. Die anderen beiden stehen nicht nur für ihre eigene Laufbahn ein, sondern sind auch für ihre toten Brüder verantwortlich. Nat hat nichts zu wollen.«
    Er drehte sich wieder um und marschierte weiter. Nur mit Mühe blieb sie auf gleicher Höhe, verwandte ihre ganze Aufmerksamkeit darauf, mit seinem Tempo Schritt zu halten, so daß ihr keine Energie mehr blieb, auf seine Worte zu reagieren.
    »Musik ist nichts als schmückendes Beiwerk«, fuhr er fort. »Ein Maler kann etwas zeigen, was Menschen in der Wirklichkeit nicht so leicht zu sehen bekommen. Ein Schriftsteller kann etwas erklären oder erzählen. Aber Musik? Die spielt sich nur am Rande ab, das ist nicht mehr als Firlefanz.«
    Sie mußte an das Orgelspiel Hartlands bei Ellys Begräbnis

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