Letzte Reise
trotzdem. Ich decke alles ab, wenn es friert. Du wirst Augen machen, was da aus dem Boden sprießt.«
Auch der große Tisch lag voll. Logbücher, Karten und Aufzeichnungen waren von den Herren drüben rasch gesichtet worden, dann hatte man sie wieder eingepackt und in das Haus in Mile End gebracht. Elizabeth sah die ungeordneten Stapel anwachsen, täglich kamen Briefe und Forschungsberichte hinzu; auch die eingezogenen Tagebücher der Offiziere wurden nach und nach freigegeben. Auf dem Tisch lag ein immenses Chaos, eine Aufgabe für den Winter, eine Verheißung von Zusammenarbeit, Einheit, Erfolg.
James hatte den Spaten genommen und legte Saatbeete entlang der Hecke an; sie sah ihn die aufgeworfene Erde unter die Sträucher rechen. Sie legte die Schürze ab und ging in den Garten.
Er erhob sich und stemmte die Hände ins Kreuz. Er verzog kurz das Gesicht, dann wandte er sich ihr zu und ergriff ihre Hand.
»Ich habe Zwiebeln mitgebracht, die wir bei ihr einpflanzen können. Kleine blaue Blumen mit einem ganz besonderen, zimtähnlichen Duft. Ich habe sie beiseite gelegt, für dich und für sie.«
Zusammen liefen sie durch den Flur, vorsichtig, um nicht die kunstvoll bearbeiteten Ruder und meterhohen Speere umzustoßen, die an der Wand lehnten.
»Wir werden das alles ordnen. Verschenken, aufbewahren. Aber erst möchte ich alles den Jungen zeigen. Es wird schon werden.«
Es störte sie nicht. Sie sei froh über das volle Haus, versicherte sie ihm, froh und neugierig auf die Geschichten, die all diese hier angespülten Gegenstände mit sich trugen. Seine rechte Hand lag um ihre Schulter, und in der linken trug er das Säckchen Blumenzwiebeln.
Schweigend gingen sie zu der kleinen Kirche. Das Tor stand offen, und sie ging ihm voran zum Grab. Der kleine Stein, der ihren Namen und die ihr so knapp zugemessene Zeit trug, stand aufrecht im Gras. Davor war ein dunkles Blumenbeet, in dem Löwenmäulchen, Klatschmohn und Veilchen wuchsen. Mit Daumen und Zeigefinger zupfte sie verwelkte Blüten heraus. Sie legte die Hand auf den Stein.
James holte Wasser und goß die ausgetrocknete Erde. Mit einem Stock stieß er Löcher in den Boden, in die sie die Zwiebeln drücken konnte. Mit bloßen Händen harkte sie die feuchte Erde wieder glatt, ein Geruch nach Eisen stieg ihr in die Nase; weitermachen, dachte sie, diese Arbeit muß getan werden, oben, über der Tiefe, verrichte ich eine Aufgabe, es muß geschehen, es ist eine Oberfläche, um die ich mich kümmern muß, nichts weiter.
Sie schob die letzte Blumenzwiebel in den Boden und deckte sie zu. James hatte sich ins Gras gesetzt und streckte die Arme nach ihr aus. Sie setzte sich zwischen seine Beine und lehnte sich an seine Brust. Wie verschwommene Farbflecken tanzten die Blumen vor ihren Augen. Er sieht ein einjähriges Kind, dachte sie, ein Kind, das noch nicht sprechen kann, das freudestrahlend auf ihn zutapst. Eines der Kinder.
Ich sehe etwas anderes. Mein Mädchen kennt er nicht. Das ist etwas zwischen ihr und mir. Unser zerstörtes Bündnis liegt einen Meter unter uns begraben.
Er hielt sie in seinen Armen. Starr blickte sie vor sich hin: grün, weiß, schwarz. Es ist zum Weinen, dachte sie, aber sie weinte nicht.
4
»Er geht nicht weg«, sagte Nat. »Ja, nachmittags geht er schon aus dem Haus, aber abends kommt er wieder zu uns zurück. Wenn er nicht fährt, ist er dann trotzdem Kapitän? Bleibt das jetzt so? Darf er denn die Uniform anziehen, wenn er kein Schiff hat? Wenn ich auf der Seefahrtsschule bin, ist er dann noch hier?«
Sie hatte ihn in der Mitte der Küche auf einen Stuhl gesetzt und ihm ein Laken über die Schultern gelegt. Die glatten, blonden Jungenhaare hingen ihm weit über den Kragen. Mit ruhigen, langen Strichen zog sie den Kamm hindurch und übte mit der freien Hand stets Gegendruck aus, damit es ihm nicht weh tat, wenn sie Verfilzungen aufzog.
»Stillsitzen jetzt, Nat, ich schneide.« Der Junge kniff die Augen zu und erwartete die Schere.
»Alan denkt, oh, das wird weh tun«, sagte er, »aber man spürt es gar nicht. Man hört es nur: krrrrt, krrrrt!«
Sorgfältig schnitt sie das flächserne Haar dicht unterhalb der Kinderohren ab. Von Zeit zu Zeit trat sie einen Schritt zurück und schaute, ob sie auch nicht von der angestrebten geraden Linie abwich. Ein Kranz abgeschnittener Haare lag rundum auf dem Fußboden.
»Er bleibt Kapitän«, antwortete sie, »in seiner Uniform. Er selbst hat kein Schiff mehr, aber er wird die Schiffe für andere
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