Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
Vom Netzwerk:
Richlind an einer ganz bestimmten Stelle unterbrochen und kritisiert, und zwar bei der Passage, in der Amalia dem verhassten Franz leidenschaftlich zurufen soll: „Ja, wahrhaftig, ich bekenne es. Euch Barbaren zum Trutz will ich´s vor aller Welt gestehen – ich liebe ihn!“  
    Als nun trotz der Wiederholungen diese Stelle so gar nicht hinhauen wollte, warf Erdmann Jansen unversehens sein Regiebuch auf den Bretterboden und brüllte: „Sch ... lechtes Theater, ganz unedel! Und alles unecht! Das nimmt dir doch kein Schw... Mensch ab im Auditorium! Unglaublicher Mist! Mach `nen Abgang von der Bühne, wenn du nicht mal das schaffst!“
    Alle im Saal verhielten entsetzt den Atem und kauerten wie gebannt auf ihren Plätzen; so hatten sie ihren Regisseur noch niemals erlebt, geduldsmäßig knapp vor der Kernschmelze. Gustav war so konsterniert, dass er seine zitternden Hände ineinander presste.
    Richlind hingegen schrie: „Ich kann nicht! Ich kann es nun nicht mehr!“ und sank schluchzend auf einen Stuhl.
    Auf den Spielleiter schien das keinen sonderlichen Eindruck zu machen; er nahm eine abwartende Haltung ein, klopfte ungeduldig mit weißen Knöcheln auf das Regiepult und sagte dann ungerührt: „Gib Bescheid, wenn du dich ausgeheult hast! Vielleicht können wir dann mit der Probe fortfahren.“
    In diesem Augenblick hasste Gustav den geschätzten Lehrmeister; seine Verblüffung wuchs, als die Szene nun noch ein weiteres Mal wiederholt wurde.
    In Richlinds Innerstem freilich hatte sich offenbar ein glimmender Funke zu einem lodernden Feuer entzündet: Ihre subjektive, persönliche Erregung übertrug sich auf die Wut in ihrer – bei Schiller etwas zu kurz gekommenen – Rolle als Amalia und verlieh ihr glühende echte Leidenschaft; worüber sie die schwülstige Gleichnissprache dieser Szene umsetzte in ein prägnantes Spiel voll originärer Empörung, so dass der Herr Spielleiter Erdmann Jansen zum Schluss nur trocken-kühl „na also, geht doch!“ brummte und die nächste Szene aufrief.  
    Richlind aber verließ hocherhobenen Hauptes grußlos die Bühne und entschwand über den Zuschauerraum durch die Tür, vor der eine Schar Hühner aufgackernd auseinander stob. Da auch Gustav keinerlei Lust mehr verspürte zu bleiben, sagte er auf Wiedersehen und begab sich niedergeschmettert nach Hause.
    Unterwegs musste er an den Trost denken, den Erdmann Jansen ihm kürzlich gespendet hatte. Wer aber baute Richlind wieder auf? Gustav ahnte mit dem feinen Spürsinn des Verliebten dunkel etwaige menschliche Zusammenhänge und seelische Motive für Erdmann Jansens Verhalten; denn dass allein Probleme bei der Erarbeitung der Rolle ihn in eine solche Rage versetzt haben könnten, passte so gar nicht zu diesem zielstrebig-besonnenen Spielleiter. Und noch nie war es vorgekommen, dass er auf einer Probe derart die Geduld verloren oder gar resigniert hätte. Ganz im Gegenteil: Wenn jemand mit der pathetischen Sprache des jungen Schiller auf Kriegsfuß geriet, empfahl Erdmann Jansen: „Übertrag dir das mal ins heutige Alltagsdeutsch, meinetwegen in Berliner Mundart; lange Rede, kurzer Sinn: Versuch den Sprachinhalt auszudrücken, wie dir der Schnabel gewachsen ist!“ Und da sollte er ausgerechnet bei der hingebungsvollen und strebsamen Richlind die Beherrschung verlieren! Ob da nicht etwas völlig anderes dahinter steckte?
    Siedendheiß fiel ihm ein, wie die Schauspieler vorhin erwähnt hatten, dass sich Richlinds Verlobter, Gunter Xander, gestern von allen verabschiedet hatte, da er heute Vormittag zur Fahne musste, die über Frankfurt an der Oder wehte. Und Richlind war pünktlich hier auf der Probe, anstatt auf dem Bahnsteig zu sein, wenn ihr Gunter abfuhr?
    Zur nächsten Probe anderen vormittags tauchte sie wieder auf, als ob nichts vorgefallen wäre. Gustav fand sie ein wenig blass und übernächtigt, aber dessen ungeachtet verfolgte sie den Ablauf der Probenarbeit mit der gewohnten wachen Aufmerksamkeit. Allerdings fehlte dem Jungen die Zeit, sich weiter den Kopf über eine fremde Beziehungskiste zu zerbrechen, weil jetzt die dritte Szene folgte: Die böhmischen Wälder und somit sein großer Auftritt als Roller .  
    „Mit dieser Szene steht und fällt die gesamte Aufführung, Leute!“ hatte Erdmann Jansen auf der Stellprobe erklärt. Der Spielleiter hatte frühzeitig für die Räuber Kostüme und Requisiten geordert, die eigentümlicherweise auch richtig und fristgemäß bereitgestellt worden waren, damit die Jungen

Weitere Kostenlose Bücher