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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Licht in mannigfaltigen Brechungen und im Kreis tanzend auf die blaue Überdecke mit den beiden weißseidenen, spitzengesäumten Dekorkissen warf. Dazu ertönte jetzt, von der Tante eingeschaltet, aus einem Stereoturm romantische Vivaldi-Musik.  
    Auf Geneviève wirkte der ganze Pomp in seiner gold- und farbenstrotzenden Überladenheit erdrückend, so dass sie sich inmitten der Vielzahl der Einrichtungsgegenstände zunächst auch gar nicht zurechtzufinden vermochte. Linker Hand, dem Prunkbett gegenüber und von einem koreanischen Paravent halb verdeckt, blickte sie auf eine grazile Ottomane hinter einem kleinen Tisch mit goldenen Rehbeinen und passendem Sesselchen und daneben auf einen barockvergoldeten Servierwagen, in dessen unterem Fach, einer Vitrine aus Kristallglas, sich eine Auswahl geistiger Getränke befand, von israelischem Sabra über Westberliner Wodka Marke Gorbatschow bis zu amerikanischem Brandy in Originalbouteillen, während zwei Karaffen Braunen und Klaren, also heimischen Weinbrandverschnitt und Doppelkorn, enthielten.  
    Indes Geneviève wieder verwundert mit heller Stimme ihr Entzücken bekundete, knipste die Genossin die Deckenbeleuchtung ein. Sie fand es dann auch weiter nicht erstaunlich, dass ihre Nichte bei dem Anblick der Freskomalerei an der Kuppel entgeistert zusammenzuckte und bis in die Haarwurzeln errötete, was der Genossin klammheimliches Vergnügen bereitete. Besonders amüsant fand sie Genevièves vergebliches Bemühen, ihrer Kopflosigkeit Herr zu werden und so zu tun, als betrachte sie mit nüchternem Kunstverstand das Werk eines großen Malers und nicht diese freche Kopie des Totentanz -Freskos aus der Turmhalle der Marienkirche, das im Original in achtundzwanzig Szenen die Vertreter der verschiedenen Stände mit dem Tod aus der Zeit der Pestepidemie zeigt, in der Imitation hingegen die Kandidaten in eindeutigen Stellungen als engumschlungene Liebespaare darstellte. Geneviève schwieg, ließ nur ihre Blicke etwas geschwinder über diese Szenen hinweggleiten, als das bei einem unbefangeneren Betrachter der Fall gewesen wäre, und war sichtlich erleichtert, als die Tante auf einen Fußschalter drückte, worauf sich der Gobelin mit der entblößten bannerschwingenden Revolutionsschönheit – Die Freiheit führt das Volk – der Seitenwand verschob und ein geöffnetes Fenster freigab, durch das die Strahlen der Morgensonne hereinfielen und dass das verschwiegen-zwielichtige Gelass in eine mit hellem Licht überflutete Kemenate verwandelte.  
    „Oh, wie wunderhübsch!“ rief Geneviève, einmal mehr entzückt, trat schnell ans Fenster, um sich hinauszubeugen. Sie atmete hörbar mit Wohlbehagen den frisch-harzigen Duft noch taubedeckter Kiefernzweige ein, die gleich einem Rondell einen Springbrunnen aus schwarzgeädertem weißem Marmor mit Seerosen und Goldfischen säumten. In der Mitte des Beckens stand auf einem künstlichen Felsbrocken eine Nachbildung von Männeken Piss, der sein Wasser in hohem Bogen in die marmorne Schale plätschern ließ.
    „Na, was hältst du davon, Liebling?“ fragte die Genossin befriedigt schmunzelnd. „Reizt es dich nicht, auf der Stelle hierher überzusiedeln?“ Dabei schaute sie ihrer Nichte mit ihrem liebenswürdigsten Lächeln erwartungsheischend in die Augen.
    Geneviève drehte sich zu ihrer Tante um, überflog noch einmal das Gemach mit seinem luxuriösen, jetzt im strahlenden Sonnenlicht beinahe unwirklich anmutenden Interieur und atmete tief durch. Noch beherrschte Unentschlossenheit ihre Züge, denn sie musste sich eingestehen, dass all der „schlichte Prunk“ – um es mit Herrmann Görings pseudodialektischem Sprachpomp auszudrücken – nicht ihrem unkomplizierten Wesen entsprach und sie sich in diesem Gepränge niemals würde wohlfühlen können. Und sie beschloss insgeheim, sobald wie möglich wieder in ihre so ganz unprätentiöse Stadtwohnung zurückzukehren. Im Augenblick jedoch sah sie sich wohl oder übel gezwungen, dem inquisitorischen Blick der Tante nachzugeben und sich ihrem Begehren zu fügen. „Also gut, Friederike“, sagte sie dann leichthin, „aber es ist bloß alles viel zu exquisit und zu wertvoll für mich.“
    In diesem Moment schlug eine kleine Rokokouhr, vor der sich ein zierliches Liebespaar auf handbemaltem Goldrandporzellan aus Meißen drehte, mit silbrigem Klang die elfte Stunde. Geneviève hatte sie auf dem Kommödchen bisher nicht wahrgenommen und fuhr nun überrascht herum, trat hinzu und blieb davor

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