Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
mit verlegenem Auflachen: „Hab dich doch nicht so, Tschienie, andre würden von Glück sagen...“
„Sieh mal, Ela“, versetzte Janine, „ich weiß ja, dass du nur das Beste für uns willst. Aber versuch mal, meinen Standpunkt zu verstehen: Wir haben uns zu einer Bürgerrechtsbewegung zusammengeschlossen, die alles daransetzt, damit endlich aufgeräumt wird mit den korrupten Bonzen und Devisengewinnlern, den Privilegien für eine kleine Oberschicht und die ganze Funktionärsclique; und da geht es mir halt einfach gegen den Strich, dass meine eigenen Kinder – von mir selbst gar nicht zu sprechen – von so jemandem was annehmen. Das hat etwas von Schmiere und Bestechung an sich. Nimm mir´s nicht krumm, aber vielleicht wirst du mich später einmal besser begreifen!“ schloss Janine und verließ die Küche.
Michaela, sich beschämt und wie vor den Kopf gestoßen vorkommend, begriff nicht, wie sich jemand bei all dem Jammer so eine Delikatesse entgehen lassen konnte; sie blickte ihrer Freundin achselzuckend hinterher und murmelte ärgerlich vor sich hin: „Eigensinniges Volk, mit ihrer ewigen Opposition!“
Trotzig warf sie den Kopf in den Nacken und stellte das Kaffeepäckchen wieder in die Anrichte zurück; widerstrebend zunächst, dann heftig, schlug sie die Schranktür zu, denn so recht vermochte sie sich nun nicht mehr über das Präsent zu freuen.
Die dritte Oktoberwoche kam in Sicht, das Politbüro kündigte „Vorschläge für einen attraktiven Sozialismus“ an, während die restaurierte Staatsführung schon daran dachte, ein paar weitere – subalterne – Köpfe auszuwechseln, Michaela plagten da ganz andere Sorgen. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf sie der Gedanke, schwanger zu werden, wenn nicht gar, es bereits zu sein. Bestürzt richtete sie sich auf dem Sofa hoch. „Nein“, murmelte sie, „das darf einfach niemals passieren!“
Wenn sie es allerdings recht bedachte: Zeitlich käme es durchaus hin; und wie brutal hatte er sie immer genommen, und sie hatte sich ihm schrankenlos ausgeliefert, ohne dabei einen Gedanken an eine solche Möglichkeit zu verschwenden. Ihre Erfahrungen auf diesem Gebiet waren noch denkbar gering. Ihr Jürgen war so anständig und harmlos, ja die Rücksicht in Person, wenn es um sexuelle Dinge ging, und wollte sich kein Kind anschaffen – so hatte er sich ausgedrückt –‚ bevor sich die Verhältnisse nicht grundlegend geändert hätten.
Am Abend, als sie darauf wartete, dass Kloczowski kam, um wieder einmal bis zum Morgen bei ihr zu bleiben, schellte es überraschend an der Wohnungstür. Sie stürzte aus der Küche und tastete nach dem Schlüssel auf dem Wandbrett. Die widersprechendsten Gedanken und Vermutungen jagten einander auf dem kurzen Weg zur Haustür. Bogdan hat doch einen Schlüssel und hat noch nie geklingelt... Sollte etwa...?
Tatsächlich aber stand ihr Jürgen vor der Tür. Verlegen grüßte er, und betreten bat sie ihren Mann herein. „Warum schließt du nicht auf?“ fragte sie.
„Man kann nie wissen“, sagte er, „ob du nicht schon im Bett liegst und schläfst. Da wollte ich dich nicht überfallen, ja?“ Sie hatten sich nicht viel zu sagen. Er schützte Müdigkeit vor und erklärte, am frühen Morgen gleich wieder los zu müssen, die Revolution dürfe jetzt keinesfalls lockerlassen, und am Ende ihres aufopferungsvollen Kampfes erwarteten sie die Segnungen einer erneuerten Gesellschaftsordnung einschließlich der ihr geschichtsgemäß zukommenden Mitgestaltungsmöglichkeiten. Darüber war er eingeschlafen und schnarchte, derweil sich sein angetrautes Weib so lange von einer auf die andere Seite wälzte, bis er aufwachte und fragte, was los sei. Statt einer Antwort hängte sie sich an seine Lippen. Die Vereinigung mit ihrem so lange abwesenden Mann war peinlich und qualvoll, aber kurz. Hinterher war ihr ganz schlecht. Im Gegensatz zu ihm konnte sie nicht einschlafen, und um vier Uhr in der Früh ging sein Wecker. Sie stand seufzend auf, ihm Frühstück zuzubereiten. Der Abschied schien ihr noch kürzer auszufallen als die Nacht. Er drückte ihr einen Geldschein in die Hand mit der Bemerkung: „Kauf dir was extra dafür! Wann ich wiederkomm´, ist unbestimmt.“
Als er in den noch stockdunklen Morgen verschwindet, fängt sie hemmungslos zu weinen an, verzweifelt, bis ihr Schluchzen in einem leisen Wimmern erstirbt. In ihrem Schlafzimmer nimmt sie dann den Geldschein mit Bewusstsein wahr, und es hämmert ihr immer wieder im Kopf:
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