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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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entsprechendem Pass auch die polnischen Reisedokumente beibehalten hatte, obwohl beide Herren ursprünglich von ihrem Geburtsort Kaliningrad, dem ehemaligen Königsberg, zugewandert waren.
    „Heiligmuttermaria!“ rief der Heilkünstler, als er Geneviève untersuchte, und erklärte den Damen und seinem neupolnischen Freund, die im Nebenzimmer warteten: „Darf man nie plötzlich aufhören mit Kokain, wenn einmal angefangen; erst müssen fortfahren mit kleine Dosen eine Zeitlang, ja!“ Er bestimmte alsdann das Quantum der halbtäglichen Zuteilung und verordnete zudem eine strikte Diät.
    Als er sich verabschiedete, begleitete ihn die Genossin zur Haustür und fragte, ob man nach einer hoffentlich baldigen Genesung der Kranken die Kokaindosierung wieder erhöhen dürfe. Über das schwammige Gesicht des Arztes mit dem aschgrauen Spitzbart huschte ein verständnisinniges Lächeln; er spitzte die fleischigen Lippen, so dass die Genossin für einen Moment den Eindruck hatte, er wolle vor sich hin pfeifen, bevor er dann jedoch nüchtern erklärte: „Wenn Dosis herabgesetzt, vielleicht aussetzen ein oder zwei Tage. Ist Norm. Dann können wieder ganz allmählich erhöhen...“ Er deutete auf eine kleine Goldplastik unter dem Spiegel der Garderobe, die das Gesetz der drei Affen: `Nicht sehen, nicht hören, nicht reden!´ verkörperte: „Ist wunderhübsch, ja?“ Nach dem Zweck einer neuerlichen Verabreichung der Droge fragte er nicht.
    Im Garten um die Villa lag versteckt in einem kleinen Kiefernhain ein achteckiger Pavillon, den sich der geschiedene Genosse Dimitri Denikin, ehemaliger Stadtkommandant von Potsdam bis zum Advent 1949, schon lange vor seiner neuerlichen Vermählung mit Carmen für seine diversen Schäferstündchen hatte ausbauen und luxuriös einrichten lassen. Geneviève konnte von ihrem Fenster aus nur das buntgedrechselte Zwiebelhäubchen sehen, und äußerte nach zwei Tagen schon, als es ihr ein wenig besser ging, die Bitte, das Gartenhaus besichtigen zu dürfen. Diesen ihren Wunsch ließ sich die Genossin sehr angelegen sein, da der Genesungsaufenthalt im Bungalow den nächtlichen Umtrieben der Zirkeldamen mit ihren `Löwen´ hinderlich wurde.
    „Wenn es dir da gefällt, my darling, kannst du ab sofort dort wohnen; Carmen ist bestimmt einverstanden.“
    „Ach nein, Tante, aber ich möchte schon gern wieder nach Hause. Ich kann doch nicht so lang hier...“
    „Doch, du kannst, Schätzchen“, unterbrach die Genossin, eindringlich widersprechend, „was willst du denn jetzt in der versmogten Innenstadt, wo es noch so warm wird um diese Jahreszeit? Hier hast du wunderbare Waldluft und kannst dich erholen...“ Von den vergangenen Tagen und diesem unsagbaren Warschauer, fuhr Friederike in Gedanken lyrisch fort. „Na, komm schon“, erinnerte sie Geneviève, „sieh dir das Sanssouci doch ruhig einmal an.“  
    Sie schritten durch den Garten, Friederike schloss die goldene, verschnörkelte Tür des Pavillons auf, worauf sie in ein Vestibül traten, das mit chinesischer Motivtapete ausgeschlagen war. An der rechten Wand neben einer kleinen schmalen Tür hing ein Jugendstilspiegel in Goldrahmen, den zwei Amoretten hielten. Weitere vier Putten daneben trugen ein barockes Garderobenbrett mit Kleiderhaken aus Messing. Friederike öffnete linker Hand eine weitere Tür, und gleichzeitig verblüfft wie ein wenig konfus betrachtete Geneviève das gekachelte Doppelbad, das ringsum an allen Wänden mit Spiegeln ausgestattet war; so etwas hatte sie bislang nur in amerikanischen Fernsehserien gesehen. Die Genossin lächelte ironisch, als sie das Gesicht ihrer verdutzten Nichte bemerkte.
    „Aber jetzt folgt der Clou, my darling: das Herrenzimmer!“ Friederike schob den schweren tizianroten Samtvorhang, der das Entrée abschloss, auseinander, schaltete die indirekte Beleuchtung an und sah Geneviève ins Gesicht, die im gleichen Augenblick den erwarteten Ruf des Entzückens ausstieß. Sie befanden sich in einem sechseckigen Kabinett mit gewölbter Decke, das wahrlich pompös ausgestattet war. Die Wände waren drapiert mit blauer, golddurchwirkter Seidentapete, und die kleinen Wandkerzenleuchter wurden wieder jeweils von zwei Amoretten getragen. Die linke Hälfte des Gemachs nahm ein elfenbeinfarbenes Louis-seize-Bett mit reichen Goldreliefs ein. Friederike betätigte erneut einen Schalter, worauf in der Mitte des azurblauen Baldachins über der Liegestatt eine Kristallkugel aufleuchtete, sich zu drehen begann und ihr

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