Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
Genauso viel hat mir Bogey aus seiner prallen Brieftasche auf den Tisch gelegt... Nur, dass es West-Mark waren... Und der Jürgen hat sich das Geld vom Mund abgespart...
Bevor sie noch weiter darüber nachdenken kann, geht plötzlich die Tür auf, und Kloczowski stürmt herein. „Nein“, schreit sie; und er ruft: „Doch!“ und stürzt sich auf sie.
Was folgt, ist noch grausam-quälender, lustloser und angstpeinigender als das Vorangegangene. Als er ihr ob ihrer Zurückhaltung Vorwürfe macht, schützt sie Magenverstimmung vor und vermeidet es, mit ihm zu frühstücken, aus Angst, dass dann die Übelkeit zurückkehren könnte. Sich mit Bogey Kloczowski auszusprechen, wagt sie nicht: Sie will ihn doch auf keinen Fall verlieren. Jetzt grad nicht! Als er sich missmutig bald verabschiedet und sie verlässt, atmet sie erleichtert auf, froh, mit ihrem Kummer allein zu sein.
Willi, dem die nächtlichen Besuche nicht verborgen geblieben waren, fragte sie am Vormittag: „Alles in Ordnung, Ela?“
„Was denkst du denn!“ log Michaela, ohne ihn dabei anzusehen. Doppelt elend war ihr jetzt zumute. Sie kam sich schmutzig vor, ja verworfen. Und niemand war da, dem sie sich hätte anvertrauen können. Den kleinen Willi kurz mit einem Blick streifend, hatte sie das bestimmte Gefühl, als warte er nur darauf, dass sie ihm ihr Herz ausschütte. Vielleicht, dass sie sich Janine anvertrauen würde, dachte Michaela.
Nach dem neuerlichen Fehlschlag konnte die einfallsreiche Genossin ihre leidenschaftlichen Extravaganzen nachgerade kaum noch zügeln und kam auf die beinahe lyrisch anmutende Idee, ein Märchen zu erfinden, süß und poetisch, und dabei auf Genevièves profunde Kenntnis kitschiger Liebesromane zu bauen. Die Legende, die sie sich zurechtgelegt hatte, wollte sie ihrer Nichte an einem lauschig-lauen Herbstabend etwa folgendermaßen erzählen:
`Geneviève, weißt du auch, dass du eine Eroberung gemacht hast?´ würde sie mit hochgezogenen Brauen beginnen, um in leichtem Plauderton fortzufahren: `Und noch dazu einen wahnsinnig gut ausschauenden jungen Mann. Ich kenne seine Familie, alte, antifaschistische Arbeiterfamilie, ein wohlerzogener, lebenslustiger Skispringer vom Sportinternat in Oberhof im Thüringer Wald. Den Sommer verbringt er hier in der Hauptstadt; hat uns schon öfter gesehen, in der Letzten Instanz und in Hoppegarten bei Pferdewetten sowie in der Komischen Oper. Er hat sich in dich verliebt, darling, und betet dich an wie einen Engel.´ Das würde schon zünden, kalkulierte die Genossin, da Geneviève einen ihrer Lieblingsromane – Der Engel und ihr Harlekin – fast auswendig kannte und sich sogleich in die Rolle des Engels versetzt fühlen würde, die Gans. Bleibt lediglich noch zu überdenken, wo mir der attraktive Sportler sein übervolles Herz ausgeschüttet haben könnte... Aber da wird mir schon rechtzeitig etwas einfallen.
`Er hat mich angefleht, ihm einmal die Möglichkeit zu geben, mit dir ein Stündchen plaudern zu dürfen, nur einmal ansehen will er dich und deine Stimme vernehmen – er ist Leistungssportler, wenn du verstehst, was ich meine.´ Ob das übertrieben klingt? Ach was, um so unwahrscheinlicher, desto eher schluckt sie es als „Engel“! `Aber heimlich müsste es schon vor sich gehen, weil sein Trainer nix davon wissen darf´, werde ich ihr beibiegen. Und dann soll sie ihn im Pavillon auf ein Stündchen empfangen, auf einen Gesundheitstee meinethalben. Der Poniatowski muss uns so einen attraktiven Burschen aus dem CB oder dem Lindencorso auftreiben, der gegen ein hübsches kleines Entgelt in D-Mark oder auch nur ein Qualitätssiegelprodukt dem dummen Pflänzchen den keuschen Josef vorspielen kann. Es würde sich in letzter Minute eine Verzögerung ergeben, die überbrückt würde durch ein paar erlesene Getränke und opulente Sandwiches, wodurch sich der Beginn des Rendezvous´ hinziehen würde bis zur völligen Dunkelheit; schummriges Kerzenlicht würde die Atmosphäre bestimmen, der Knabe müsste mal ... wird ausgetauscht, und dann... Ihr breiter schmallippiger Mund verzog sich zu einem fratzenhaften Grinsen. Und wenn sie erst ein paar Mal ... und Geschmack daran gefunden hat, wär´s doch gelacht, wenn sie nicht auch...
Die Genossin täuschte sich nicht. Geneviève, deren Gemüt noch immer durch die Romanlektüre ihrer Mädchenjahre sentimental gestimmt war, schien prompt auf diese romantische Schilderung eines unglücklich in sie verliebten Sportasses
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