Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
hereinzufallen. So bedurfte es keiner allzu großen Mühe, durch Betonung der Harmlosigkeit einer solchen Zusammenkunft einerseits und der ungeheueren Wichtigkeit für die Eroberung einer Goldmedaille für den Jüngling andererseits – sie täte ein wahrhaft gutes Werk für ihr Land! –, ihre anfänglichen Bedenken zu zerstreuen, um so mehr, als Geneviève sich durch die wiederum in stärkeren Dosen verabfolgten Kokaingaben in einer zarten, aber doch merklichen Euphorie befand, die sie die ganze Welt durch eine rosarote Brille sehen ließ.
Ihr anfängliches Zögern überwunden, gab Geneviève ihr Einverständnis und drang sogleich mit Fragen in Friederike, wie dieser Verehrer denn wohl aussähe und wie sein Name sei.
„Aber darling, warum musst du die schöne Anonymität durch Indiskretion stören? Wie attraktiv er ausschaut, wirst du selber schon früh genug feststellen können, wenn er dir seine Honneurs erweist; und das ist doch sicher auch viel romantischer, wenn er dann vor dir steht und du ihn vielleicht gar schon von Sportübertragungen her kennst...“
Nach dieser erfolgreichen Unter- und Überredung beeilte sich die Genossin, Poniatowski anzurufen, um ihn zu beauftragen, sich so schnell als möglich, also tunlichst noch am selben Abend, nach einem geeigneten jungen Kandidaten umzusehen, der Gefallen daran fände, ein prominentes Mädchen für ein, zwei Stunden zu unterhalten und gegebenenfalls... Die Details wollte sie dem erfahrenen Warschauer überlassen.
Das Operncafé mit Terrasse – Ecke Unter den Linden, Oberwallstraße – war seit einiger Zeit ein Schicki-Micki-Lokal, besucht von Bohémiens aller Art und solchen, die sich dafür hielten, sowie von Homophilen aller Schattierungen und beiderlei Geschlechts. Literaten und Malerinnen, Musiker und Bildhauerinnen, Sänger und Schauspielerinnen der Berliner Bühnen, des Fernsehens und der DEFA, aber auch Angehörige profanerer Berufe favorisierten dieses Lokal, wenn sie heterosexuellen Anfechtungen entgehen wollten. Und wo ein Aas ist, sammeln sich die Geier: Unter die lebenslustigen Kunstjünger mischten sich Elemente, die aus deren einschlägigen Schwächen Kapital zu schlagen hofften. Da spielte die schwachbrüstige Währung eine untergeordnete, Amtsmissbrauch und Korruption, Vorteilnahme und Privilegiensucht eine um so größere Rolle. Der gepflegten Halbwelt im real existierenden Sozialismus gehörte die Klasse der Staatssicherheit genauso an wie zum Beispiel der Herr Poniatowski alias Kloczowski, der nur darauf zu achten hatte, nicht etwa den falschen Pass zu zücken bei einer etwaigen Kontrolle durch die Firma Horchguck, Greif & Co , die zur Zeit allerdings einen erschwerten Stand hatte, da einer ihrer Köpfe sich ins Privatleben zurückgezogen, ein anderer die Fronten ins Sächsische gewechselt hatte.
An diesem Abend hatte der Warschauer sich schon in der gesamten kleinen Bar- und Kneipenszene der Hauptstadt herumgedrückt, ohne den geeigneten Lockvogel zu entdecken, den man Geneviève als den avisierten Märchenprinzen hätte präsentieren können. Ein „Ausländer“ aus dem Westen kam für dieses Unternehmen nicht in Frage, und er wollte schon aufgeben, als er sich gewohnheitsmäßig und ohne jede Hoffnung noch ins Operncafé setzte.
Schon beim Betreten fiel ihm am äußersten Ende der Bartheke ein junger Mann auf. Er begab sich zum anderen Eck des Tresens, begrüßte den „roten Heini“, wie der stark geschminkte, aber immer noch knackige Barmann seines Haares wegen genannt wurde, und kletterte auf einen Hocker, von dem aus er den seltsamen Gast unauffällig beobachten konnte. Der junge Mann war äußerst elegant, nach der neuesten westlichen Mode eingekleidet, hatte ein beinahe mädchenhaftes Aussehen, blasse Wangen und dunkle Augen mit auffallend langen schwarzen Wimpern. Sein Haar fiel leicht gelockt bis fast auf seine Schultern herunter und ging an den Wangen in Koteletten über.
Der Warschauer war ihm hier noch niemals begegnet, und auch Heini wusste auf sein Befragen hin sich nicht zu erinnern, diesen sonderbaren Einzelgänger schon einmal zu Gesicht bekommen zu haben. „Der is heut zum ersten Mal da, macht ne Bestellung, spricht sonst keen Wort, und ansehn tut er eenen ooch nich; als ob man gar nich existiern tät. Hockt schon seit zwee Stunden auf seem Hintern unbekannter Holdseligkeet, hört de Musike zu und hat schon die zweete Flasche Sekt bestellt, der komische Vojel, wa!“
Der Blick des Paradiesvogels aber war
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