Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
die Hände überm Kopf zusammen und sank in einen Sessel. Die Genossin und der Warschauer fassten sich zuerst, doch ließ sich an ihren verstörten Zügen deutlich ihr schlechtes Gewissen ablesen, dachte die Genossin doch sogleich: Gift! – während es den Warschauer durchfuhr: Flucht!
„Ich hab es gewusst!“ stieß Carmen Denikin hervor und nahm die Hände vom totenblassen Gesicht; sie zitterte am ganzen Körper. „Kommt!“ zischte sie gepresst durch die Zähne. Den anderen voraus, rannte sie die Wendeltreppe zum Garten hinunter in den sonnenüberfluteten Garten, nur die auf der Heide und Ly Tam, die gleichfalls in ein Sofa gesunken war und von Weinkrämpfen durchbebt wurde, blieben zurück.
Die Tür zum Pavillon auf der Ostseite stand weit offen.
Im Näherkommen konnten sie einen Lichtschein durch den Spalt der roten Samtportiere fallen sehen. Als die Gruppe eintrat, bot sich ihnen ein schaudererregender Anblick: Geneviève lag – Unterschenkel auf der Matratze – mit dem Rücken auf dem Boden über der herabgerutschten rosa Überdecke der Liegestatt. Ihr Kleid, ihre Wäsche, ihre Strümpfe und Schuhe lagen teils auf dem Bett, teils auf dem Teppich verstreut umher. Um ihren Hals, der blutunterlaufene Würgemale zeigte, hing noch die feine Goldkette mit dem blaublitzenden Saphir inmitten goldgefasster Brillianten, dem Geschenk der Genossin. Das Schmuckstück war heruntergeglitten und lag seitlich auf der linken Brust der Toten. Ihr langes Blondhaar fiel aufgelöst um den Kopf. Genevièves zuvor so ebenmäßiges Antlitz war blau angelaufen und verquollen, der Mund wie zum Schreien geöffnet; ihre Augen stierten weit aufgerissen zum Deckengewölbe mit dem Totenreigen-Fresko. Die Fäuste hielt sie geballt und den Oberkörper halb aufgebäumt. Alle Details deuteten darauf hin, dass sich Geneviève bis zur letzten Sekunde heftig gewehrt haben musste. Und die Stellung ihrer Körperglieder und ihre Verfassung wiesen eindeutig darauf hin, dass sie geschändet worden war.
Minutenlang herrschte nach der Entdeckung des scheußlichen Verbrechens im Bungalow der Denikin ein panikartiges Chaos, ehe man sich entschließen konnte, die Kriminalabteilung der Volkspolizei zu alarmieren. Alle riefen hektisch durcheinander, jeder sah sich auf seine Art kompromittiert, und nur in einem einzigen Punkt war man sich einig: aus der Datsche zu verschwinden, ehe die Kripo eintraf.
Nach endlosem Bemühen gelang es der Genossin, die Damen einigermaßen zu beruhigen und sie davon abzuhalten, durch überstürzte Flucht einen nicht wiedergutzumachenden Fehler zu begehen. Man verständigte sich darauf, dass lediglich Boleslaw Poniatowski vor Eintreffen der Kriminalbeamten den Bungalow verlassen sollte. Er wurde von hiesiger wie polnischer Polizei seit langem gesucht, besaß falsche Pässe und war mit dem Fremden zuletzt im Operncafé gesehen worden. Schließlich hatte er ihn, wie der Fahrer leicht bezeugen konnte, am Abend vor dem Mord ins Haus gebracht. Ly Tam wurde mühsam eingeschärft, unter keinen Umständen den Namen des Warschauers zu erwähnen, überhaupt sich bei Verhören durch die Staatsorgane so zu stellen, als verstünde sie kaum ein deutsches Wort, und bei jeder an sie gestellten Frage die Genossin Denikin anzusehen und sie auf vietnamesisch um eine Übersetzung des an sie gerichteten Begehrs zu bitten. Dadurch würde Zeit gewonnen, um sich die passenden, unverfänglichen Antworten zurechtlegen zu können. Denn es war wohl kaum anzunehmen, dass ein Kriminaler der Volkspolizei der vietnamesischen Sprache mächtig war. Für spätere Vernehmungen mit Dolmetscher könnten sie sich in aller Ruhe gemeinsam die füglichen Antworten überlegen.
Von der Vandalitzer prominenten Nachbarschaft war im Übrigen nichts zu befürchten, da man sich hier nicht umeinander scherte, geschweige denn Umgang oder gar Freundschaften pflegte, die Erich Honecker womöglich als unerwünschte Fraktionsbildung gegen ihn hätte missverstehen können.
Nach der Tatortbesichtigung, als der Polizeiarzt eine erste Untersuchung der Leiche vorgenommen und gemutmaßt hatte, dass der Tod wahrscheinlich um Mitternacht durch Strangulieren eingetreten sei, begab sich der junge Kriminalleutnant Kaulbarsch, ein großer dunkler Thüringer und insgeheim forscher Anhänger der Bürgerrechtsbewegung, mit seinen Helfern zu einem ersten Verhör in den Bungalow und überließ den Fachleuten von der Technik die routinemäßige Spurensicherung und die entsprechenden
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