Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
Andererseits drückte man dann und wann in puncto Honorar bei talentierten Minderbemittelten ein Auge zu und ließ sich mit dem Bewusstsein entlohnen, etwas für die hehre Kunst getan zu haben.
Apropos Schauspielschüler... Wie war das noch? Hatte nicht der Walter Patzke einmal erwähnt, dass sein Filius, jener bleiche Knabe dort drüben, einen Komödiantentick besäße und andauernd die Chaotentruppe von Schmierengauklern, die Filme zu machen behauptete, frequentierte? Und der verrückt wäre nach allein, was nach Schminke, Puder und Zelluloid roch. Herr Müller-Eisner warf demütig einen forschenden Blick den drei Hinterbliebenen hinüber: Nun, man wird sehen, augenblicklich war der noch ein Küken, das nicht wusste, ob es Hahn oder Henne werden soll.
Und die arme kleine Madame schaut so zerbrechlich aus und war eine so hübsche Frau gewesen! Jetzt hockte sie da mit verweinten Augen, weil der Ernährer gestorben war... Doch blieben ihr selbstverständlich noch zwei Einkünfte, einmal als nebenberufliche Kassiererin von Versicherungsbeiträgen und dazu nun die Rente von ihrem Seligen. Damit kann sie sich mit ihren Rangen recht bequem durchwursteln, so dass man sich wegen der Witwe vom Walter keine grauen Haare wachsen zu lassen brauchte.
Gedankenvoll erhob sich Arminius Müller-Eisner, weil seine Frau, die Diva, ihn am Ärmel gezupft hatte, trat neben sie und die Bank, um hochaufgerichtet stehen zu bleiben, begleitet von so erhaben angedeuteten Gebärden, als verfolgten Zehntausende von Zuschaueraugen jede seiner knappen Gesten.
Ein anderer hatte es ihm gleichgetan: der dicke Onkel Heinrich Collisy, der am entgegengesetzten Eckplatz derselben Bankreihe Platz bezogen hatte wie der Herr DEFA-Schauspieler a. D. und sich nun ebenfalls wie zufällig, ja ein wenig verstohlen erhoben hatte, um neben Arminius Müller-Eisner und Gattin zu treten und wie diese Sarg und Hinterbliebene vorbeizulassen.
Der dicke Onkel ließ vor dem inwendigen Auge der kleinen
Beobachterin das private Fotoatelier erstehen, das der unzeitgemäß feiste Mann mit rosiger Glatze und gelbem Haarkranzrahmen um Kahlhaupt und Kinn seit langem betrieb. Die ganze Firma war selten elegant wie der Inhaber selbst, der hier in der Kirche feines Tuch und nagelneues Schuhwerk aus dem Westen trug. Jedenfalls knarrten die Schuhe, als er sich aus der Bankreihe schälte, was ihn selber zu genieren schien, ihn, den feinen Pinkel aus der teuersten Geschäftsgegend der Hauptstadt um den Alex mit Filiale im Top-Einkaufsparadies Leipziger Straße. Für Leute, die etwas gleicher waren als andere, gab es auch im einundvierzigsten Jahr der Republik alles, was das Herz eines Bonzenfreundes begehrte. Übrigens trug er ein Bärtchen wie weiland Walter Ulbricht, dem Staatsratsvasall von Moskaus Gnaden aus den Kindertagen des Kalten Krieges. Den Klobart hatte Herr Collisy auch nach der Ära des ergebenst verehrten Vorsitzenden nicht abgekratzt.
Die vorhin verklungenen, feierlichen Orgelklänge hatten denn auch in Onkel Heinrich zwar sentimentale, aber keineswegs sakrale Erinnerungen geweckt an jene Zeiten, da die erhabenen Musikdramen eines Richard Wagner noch ihren angemessenen Stellenwert besaßen, an die große Festoper, die der geliebte Führer anlässlich seines zehnten Regierungsjubiläums zelebrieren ließ und der er, Heinrich Collisy, als junger Parteigenosse und Reichsphotograph hatte beiwohnen dürfen.
Herrschaftszeiten, das war das Jahr, das als das glorreichste des Tausendjährigen Reiches – er hatte in der Tat `glorreich´ gedacht — in die teutsche Geschichte eingehen sollte, und dann war aufgrund eines Abgrundes von Verrat...
Nee, nee, was waren die Deutschen unter starker Hand immer geachtet, rund um den Erdball; was war bloß aus Großdeutschland geworden?
Einen tiefen Seufzer hatte der Onkel unterdrücken müssen, wobei sein Blick unwillkürlich auf die vier ausgemergelten Jammergestalten von Sargträgern gefallen war, die ihm den Gedankengang etwas sprunghaft hatten weiterspinnen lassen: Seit dieser Gorbatschow in Russland mit dieser verrückten Perestroika angefangen hatte, geht auch bei uns alles Drunter und Drüber. Schließlich hat es hierzulande trotz allem seit über vierzig Jahren Zucht und Ordnung und eine Führung, auf die man sich letztendlich wenigstens verlassen konnte. Der Breschnew war da ein ganz anderes Kaliber gewesen, wenn sie den nicht totgeärgert hätten wie auch seinen Nachfolger, der würde als General ganz anders
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