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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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nicht, dass er seinen Freund umgebracht hat. Was ist das nur für ein grausames Leben – und so unendlich sinnlos! Wenn Täves Papa besser bei Gelde gewesen wäre, hätte er sich schonen können und weilte heute vielleicht noch unter den Lebenden. Und jetzt? Aus war´s und vorbei für immer, mit gerade mal vierzig Jahren! Wofür hat der eigentlich gelebt?
    Johannes lag ganz still, und wie von selbst formten seine Lippen die Verse seines Lieblingsdichters Shakespeare:
„Fünf Faden tief liegt Vater dein,
    Und sein Gebein wird zu Korallen,
    Doch Perlen sind die Augen sein.
    Nichts an ihm, das soll verfallen...“
    Wie wundervoll das klang! Keine Spur von dieser Hoffnungslosigkeit, die ihn selber unaufhörlich zu plagen pflegte. Ein wahrer Rausch der Sprache! Wie wunderbar die Natur den Tod adelte! Und indem er zwei Zeilen übersprang, summte er halblaut das Ende des Sturm-Verses vor sich hin:
    „Nymphen läuten stündlich ihm,
    Da horch ihr Glöcklein – bim, bim, bim!“
    Er richtete sich jählings auf und rief: „Nein!“ Und erschrak über seine eigene Stimme. „Das heißt: ja!“ Kaum wagte er – in selbstverzehrendem Hass – weiter zu flüstern: „Verfaulen soll das Aas in der tiefsten Hölle!“
    Niemandem fühlte Johannes sich mehr entfremdet als seinem Vater. Unbesonnen hatte Otto Heinze seinen Finger gerade in die schmerzhafteste Wunde des jungen Mannes gelegt: die durch den Vater erzwungene Trennung von Patricia. Unauslöschlich war ihm jede Stunde, jeder einzelne Augenblick der vier letzten Tage, da sie noch zusammen gewesen waren, ins Gedächtnis eingegraben.
    Im Frühherbst vor fünf Jahren besuchte Towaritsch Livtoschenko aus Moskau seinen Freund, den Sparkassendirektor La Bruyère, der seinerseits den Urlaub in der Datscha des russischen Freundes auf der Krim zu verbringen pflegte. Johannes erinnerte sich in allen Details an jenen verhängnisvollen Abend, als die inzwischen neunjährige Patricia dem sowjetischen Gast die Scheherazade von Rimsky-Korssakow aus Opus fünfunddreißig vorspielen musste. Johannes´ zierliche Zwillingsschwester hatte schon als Kind alle Anzeichen einer außergewöhnlichen Begabung erkennen lassen, was offenbar erblich auf ihre Mutter, einer vor ihrer Hochzeit gefeierten Pianistin, zurückzuführen war. So nahm auch der Besucher ihr Spiel mit wahrem Enthusiasmus auf und drang in den Vater, ihm das Töchterchen zur weiteren Ausbildung nach Sewastopol in das Kunstinternat Simonovs mitzugeben.  
    Den bis dahin Unzertrennlichen half kein Bitten und kein Flehen: Schon am nächsten Wochenende trat der Russe die Besuchsreise zu seiner eigenen Tochter an, die im gleichen Internat studierte; Patricia bestieg mit ihm am frühen Morgen des 7. September 1985, an ihrer beider Geburtstag noch dazu, auf dem Flughafen Schönefeld die Maschine der Interflug Berlin – Odessa. Noch allzu deutlich sah Johannes vor seinem inneren Auge, wie Patsy, die Halle verlassend, ihm zuwinkte, um sich einzuchecken, und er das Panorama-Restaurant aufsuchen wollte, sein Vater ihn daran zu hindern suchte, indem er ihn, ihn brutal am Arm packend, anherrschte: „Stell dich nicht so zimperlich an!“ Und wie er sich aus dem rabiaten Zugriff des Erzeugers gewaltsam befreite und gerade noch zurechtkam, um durch den vernebelnden Schleier seiner Tränen die Heckflosse der Iljuschin in der Ferne entschwinden zu sehen. Er stöhnte auf und wandte den Kopf zur Seite, weil ihm wieder zu Bewusstsein kam, dass fast ganze drei Jahre verronnen waren, seit Patsy damals in den Weihnachtsferien das letzte Mal zu Besuch daheim gewesen war. Zehn knappe Tage gestand ihnen das blinde Schicksal zu, in denen sie für kurze Zeit beisammen sein konnten; sie hatten damals mit jeder einzelnen Minute gegeizt, die sie für sich allein verbringen konnten, weil das Haus wie immer an Feiertagen voller Gäste war. Anwesend waren die Cousine des Vaters, die Genossin – er murmelte das Wort abschätzig vor sich hin – Friederike Wagner-Gewecke, eine geborene La Mettrie, die bei ihrem Doppelnamen ihre Umwelt in dem Glauben ließ, mit dem Mädchennamen Gewecke als schlichter Leute Kind das Licht dieser Welt erblickt zu haben. Die Genossin hatte sich in Begleitung ihrer Freundin befunden, der schönen Carmen Denikin, deren flammend rote Haare und blendend weiße Brüste, die sie äußerst freimütig den profanen Blicken ihrer Verehrer darbot, auch seinen Alten faszinierten, was wenig später zu einer stadtbekannten Liaison der beiden

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