Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
Anschließend gab es im Gasthaus Riviera ein Festessen. Das weiße Hochzeitskleid sei ein Traum, hatte die Mutter leise gesagt, und sie sähe wirklich hinreißend aus. „Wie eine Prinzessin“, sagte vernehmlich die Cousine ihres Gatten, die Genossin Friederike Wagner-Gewecke, die die Braut buchstäblich mit den Augen verschlang und ihr in einem fort Komplimente machte. Auch Johannes konnte nicht umhin, seine junge Tante mit Wohlgefallen zu betrachten.
Die Hochzeitsreise führte allerdings leider nicht – wie erträumt – nach Venedig, sondern umständehalber und wie seit langer Zeit üblich nach Ungarn, an den Plattensee. Das Reiseziel führte zu politischen Diskussionen, die die Brautmutter ganz vergeblich mit der Bemerkung zu unterbinden suchte, sie sei schließlich selbst längst grenzmündig und wolle nach der Rückkehr des „jungen Paares“ nach Bad Godesberg an den Rhein ziehen zu ihrem kranken Bruder, ihrem einzig verbliebenen Verwandten, um ihn zu pflegen.
Nachdem Geneviève ihre Scheu peu á peu überwunden hatte, lernte sie ihren Mann als einen zartfühlenden, rücksichtsvollen Partner kennen, der es seinerseits zu schätzen wusste, noch kurz vor Toresschluss eine so anmutige Gefährtin gefunden zu haben. Aber noch war ihr hochzeitlicher Ungarnurlaub nicht zu Ende, als Partei und Vaterland bei Ausbruch der deutsch-deutschen Rundreisewelle den Gatten jählings aus der Ferienruhe herausrissen und nicht mehr ins eheliche Bett und in seine bequem-geruhsame Stellung als VEB-Kolonialwaren-Verwalter des Importkombinats hineinließen. Wie Geneviève als Single aus dem Pustaland ins Reich der denkenden Arbeiter und dichtenden Bauern heimkehrte, schossen die wildesten Gerüchte ins Kraut und machten ihr das Leben noch schmerzlicher, als es durch die Trennung der Jungvermählten für beide sowieso schon war.
Und da in der kurzen Zeit des Zusammenlebens Genevièves Empfindungen für ihren väterlichen Geliebten beträchtlich gewachsen waren, fühlte sie sich doppelt einsam und verlassen in der großen Wohnung der unpersönlichen Mietskaserne mit den hinterpommerschen Junkermöbeln und in Gesellschaft der mürrischen und feindseligen Paula.
Da tauchte schon nach kaum einer Woche unverhofft die Cousine ihres Mannes, die Genossin Wagner-Gewecke, bei Geneviève auf, die die „gnädige Frau“ wie einen rettenden Engel empfing und aus ihrer Freude keinen Hehl machte. Friederike stellte es mit Befriedigung fest und bemerkte im Laufe ihrer Unterhaltung, indem sie Geneviève liebkosend die Wange tätschelte: „Aber Baby-Darling, was siezt du mich denn dauernd? Und woher hast du bloß den Ausdruck `gnädige Frau´? Bah, sind wir nicht jetzt nahe Verwandte?“ Und bestand darauf, mit ihrer reizenden „Nichte“, wie sie sagte, um einen Generationskonflikt im Keim und in beiderseitigem Interesse zu ersticken, „Brüderschaft“ zu trinken; darauf, das vertrauliche Du mit Trunk und Kuss zu bekräftigen, legte die Genossin gesteigerten Wert, und dieser Kuss auf den Mund geriet alles andere als förmlich und verstörte Geneviève aufs Höchste. Doch ließ Friederike, die das sogleich erkannt und wohl auch nichts anderes für den Anfang erwartet hatte, der jungen Frau keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, sondern plauderte in einem fort so anregend, dass Geneviève ihr Befremden für den Augenblick vergaß und sich aufrichtig über Friederikes Besuch zu freuen schien.
Über ein Kleines aber tat ihre Besucherin wiederum etwas, das Geneviève zutiefst schockierte. Sie hatte sich erhoben, um der „Tante“ einzuschenken, als diese, die Unterhaltung unvermittelt unterbrechend, ihre Gastgeberin mit einem absonderlich forschenden, ja zudringlichen Blick von Kopf bis Fuß abschätzte und ausrief: „Mit dieser Figur könntest du anderwärts schnell eine Million machen, mein Schatz!“
Geneviève hob die Augenbrauen, verstand und errötete bis unter die Haarwurzeln. Sie setzte sich spontan wieder hin, um den aufdringlichen Blicken der Genossin zu entgehen, und bemühte sich zugleich, ihre Bedrängnis mit einem gezwungenen Lächeln zu verschleiern. Doch auch dieses schwand, als die Genossin nun mit nicht mehr zu überhörender Deutlichkeit Zweifel am physischen Vollzug von Genevièves Ehe äußerte: „Ja, meine liebe Genoveva, mit einem alten Hirsch lässt sich nun mal keinen Staat mehr machen, es ist schon ein Kreuz...“
Weiter kam die Gnädige nun nicht, weil Geneviève mit hochrotem Kopf aufsprang und rief:
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