Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
Beschützerin nochmals Anlass zum Vorwurf der Prüderie zu geben, den sie für Frauen unter sich eigentlich als ganz unangebracht ansah. Andernteils tat ihr die Bewunderung gut, die die erfahrene Genossin ihren körperlichen Reizen zollte, und sie fand nichts mehr dabei, sich in unbefangener Koketterie beim Aus- und Ankleiden zu zeigen sowie die schlanke Linie ihrer Schenkel, die Schmalheit ihrer Taille und die Knospen ihrer Brüste in Gottes freier Natur auf dem FKK-Gelände im Spreewald oder in der finnischen Sauna zur Schau zu stellen. Freilich errötete sie zart und geschmeichelt, wenn Friederike sich nicht enthalten konnte, spitze Rufe des Entzückens auszustoßen.
Doch die Genossin meinte, sich nun lange genug um die Zuneigung ihrer schönen Anverwandten bemüht zu haben, und dünkte sich lächerlich und abgeschmackt mit ihren nichtigen verstohlenen Annäherungsversuchen, und das um so mehr, als sie sich zu ihrem Verdruss eingestehen musste, dass dieses naive Gänschen auf keinen ihrer Vorstöße einging und voraussichtlich auf diesem Wege niemals dahinterkommen würde, welch reizvollen Bereich der Erotik sie ihr zu erschließen beabsichtigte. Selbstverständlich hatte sie nicht versäumt, Geneviève über die Literatur geistig und seelisch auf ihr Ziel behutsam hinzulenken, denn im La Bruyèreschen Bücherregal fand sich ein Band aus dem Eulenspiegel-Verlag, in dem unter dem Titel Kapriolen der Liebe dreiunddreißig nicht ganz sittsame Geschichten verzeichnet waren von Monsieur Arouet de Voltaire über Kiu Ku Ki Kwan und Ludwig Thoma bis hin zu Frank Wedekind, darunter freilich keine einzige wirklich ausgefallene, wie die Genossin feststellen musste. Daher sah sie sich gezwungen, auf vorrevolutionäre, wenig fortschrittliche Bildungsinhalte zurückzugreifen, und berichtete der Kleinen vom antiken Griechenland mit seinem Knabenkult, trug auch Verse aus Sapphos herrlicher Ode auf Aphrodite fast fehlerfrei vor, um ihr hernach vom Mädchenlyzeum der großen Dichterin auf Lesbos vorzuschwärmen und damit bereits den Kernpunkt ihrer Operation anzusprechen, die gleichgeschlechtliche Liebe unter Frauen nämlich, die – hierzulande zwar streng verpönt und eifrig totgeschwiegen – trotz allem nicht zu leugnende Vorzüge und unermessliche Reize besitzen sollte.
Leider konnte sie so gar keine Anzeichen bei ihrer Nichte konstatieren, die in ermutigender Weise darauf schließen ließen, dass der Same der Verführung bei Geneviève ein Stückchen Erdreich gefunden hätte, in dem er Wurzeln zu schlagen vermochte. Einmal mehr wurde sie sogar das mutmaßlich kaum unberechtigte Gefühl nicht los, dass ihre ungelehrige Schülerin lediglich aus einem Gemisch von schierer Dankbarkeit, hochgradiger Naivität und einer Spur verwandtschaftlicher Rücksicht davon absah, hochzufahren und der allzu schlüpfrigen Lektion in der Kunst des Sapphismus, der Tribadie oder – wie die Lateiner sagen – der ars amandi lesbidis ein rasches Ende zu bereiten.
Misserfolge waren jedoch noch niemals dazu angetan gewesen, bei der Genossin Wagner-Gewecke etwa Gefühle der Resignation aufkommen zu lassen. Ganz im Gegenteil wurden ihre lesbischen Gelüste durch Genevièves passive Renitenz nur noch mehr angestachelt und ließen sie auf einen Ausweg sinnen, der – auf den ersten Blick umständlich und wenig erfolgversprechend anmutend – am Ende aber doch noch die Errungenschaft versprach, welche sich die Gnädige erhoffte. Sie verharrte beim klassischen Stil und rüstete ein köstliches Mahl im Speisesalon ihrer Zimmerflucht in der ersten Etage der Wald-Villa in Vandalitz. Dazu lud sie eine kleine, aber feine Gesellschaft ein: zunächst die Besitzerin des Sommersitzes, das heißt: nicht die gesamte Partei, sondern lediglich ihre Freundin Carmen Denikin sowie ihren Oheim Uffo La Mettrie, jenen müden alten Geier mit seinem ewig herausgeworfenen Glasauge und einer krächzenden Stimme, einen erklärten Hagestolz, der ihr gewiss nicht ins Handwerk pfuschte. Dazu den im Parteisold stehenden Boleslaw Poniatowski und natürlich die Hauptperson, deretwegen der ganze Aufwand getrieben werden sollte: Geneviève La Bruyère.
Und weil kaum damit zu rechnen war, dass die junge Dame sich in diesem erlauchten Kreis wohlfühlen würde, lag für den eingeweihten Warschauer die Vermutung nahe, dass Friederike vielmehr eine Art Schocktherapie mit ihrer Nichte vorhatte. Dafür sprachen auch die Präliminarien, für die der Blonde unter Missachtung aller
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