Letzter Gipfel: Ein Altaussee-Krimi (German Edition)
des Fahrzeugs. Jemanden ans Funkgerät zu bekommen, der sich am Tatort aufhielt, gelang ihm allerdings nicht. „Wir werden die zuständige Tatortgruppe informieren“, hieß es, oder: „Wir werden Ihr Anliegen weiterleiten.“
Gut zwanzig Minuten, nachdem sie in Gmunden losgefahren waren, bremste die Frau Doktor ihren BMW direkt vor dem Eingang des Gymnasiums in Bad Ischl ab, ohne sich die Mühe zu machen, eine Parklücke zu suchen. Links und rechts von ihnen standen Einsatzfahrzeuge der Polizei, sodass Gasperlmaier annahm, dass die Untersuchung des Tatorts noch im Gange war. Auch ein Leichenwagen, fiel ihm auf, war etwas abseits geparkt. Mit offener Heckklappe. Ohne auf ihn Rücksicht zu nehmen, stürzte die Frau Doktor ins Gymnasium. Gasperlmaier folgte bedächtigen Schritts und nahm sich vor, den Termin mit der Frau Magister Zettel im Gedächtnis zu behalten, den sie jetzt sicherlich wieder versäumen würden. Außerdem musste er nicht unbedingt Zeuge des Streits zwischen der Frau Doktor und dem verantwortlichen oberösterreichischen Ermittler werden, ganz zu schweigen davon, dass er wenig Lust verspürte, am Ende noch in diesen Streit hineingezogen zu werden. Als er die Eingangstür hinter sich zufallen ließ, hörte der schon die Frau Doktor schreien. „Liegen lassen! Loslassen! Sofort!“, dem ein noch lauteres, aber tieferes „Öha!“ folgte. Als Gasperlmaier sich der offen stehenden Tür zum Direktionszimmer näherte, nahm er den auf dem Boden liegenden Leichnam des Schuldirektors wahr. Grau in grau, hatte Gasperlmaier gefunden, war er ihnen vorgestern gegenübergetreten. Jetzt war bedeutend mehr Farbe im Spiel. Um den grauen Anzug herum hatte sich eine Blutlache ausgebreitet, die wohl am Oberkörper ihren Anfang genommen hatte, wie Gasperlmaier nach einem zögerlichen Blick auf das blutverschmierte Sakko des Herrn Direktor feststellen konnte. Entsetzt wandte sich Gasperlmaier ab, denn er spürte, wie ihm die Leberkäsesemmeln aus Altmünster wieder hochzukommen drohten. Außer der Leiche befanden sich die Frau Doktor, zwei Herren in Zivil und ein sehr beleibter, großgewachsener Mann mit einem üppigen, ergrauten Haarschopf im Raum. Hinter ihm stand außerdem der Doktor Kapaun, ein Gerichtsmediziner, dem Gasperlmaier schon begegnet war. Die Frau Doktor und der Gerichtsmediziner, so erinnerte sich Gasperlmaier, waren nicht gut aufeinander zu sprechen. Der Doktor Kapaun hatte eine Vorliebe für schmutzige Pathologenwitze, die eigentlich niemand teilte, soweit Gasperlmaier wusste. Die Frau Doktor hatte ihren Ausweis gezückt. „Kohlross, Bezirkspolizeikommando Liezen!“, hechelte sie, noch nach Atem ringend. Der beleibte Mann entgegnete ruhig: „Hinterholzer, Sicherheitsdirektion Linz.“ Einen Ausweis förderte er nicht zutage, rührte sich auch nicht und ließ die Hände in den Hosentaschen. Mit, so fand Gasperlmaier, doch etwas erregter Stimme erklärte die Frau Doktor ihr Eindringen am Tatort und den Zusammenhang ihrer Ermittlungen mit dem vorliegenden Mordfall. Heute, so dachte Gasperlmaier bei sich, klang sie erstmals, seit er sie kannte, ein wenig nervös. Gasperlmaier vermutete, dass sie sich dem Herrn Hinterholzer ein wenig unterlegen fühlte, da der einerseits körperlich überaus dominant erschien – die Frau Doktor hätte in den glatt zweimal hineingepasst – und andererseits im Gegensatz zur Frau Doktor völlig gelassen blieb. Der Gelassene, so dachte Gasperlmaier bei sich, war doch dem Aufgeregten gegenüber immer im Vorteil. „Regen Sie sich nicht so auf, Frau Kollegin, das wird alles!“ Selbst als er den Mund aufmachte, blieb der Kollege Hinterholzer stoisch, nahezu unbeweglich. „Wenn Sie mir erklären können, warum ich über den Vorfall hier nicht rechtzeitig informiert worden bin, wo doch klar hätte sein müssen, dass ein Zusammenhang mit meinen Ermittlungen nahezu zwingend wahrscheinlich ist, dann werde ich mich augenblicklich beruhigen.“ Die Frau Doktor atmete immer noch heftig und redete deutlich lauter als sonst. Gasperlmaier betrachtete sie versonnen und stellte fest, dass sie ihm noch attraktiver erschien, wenn sie wütend war. Allerdings hätte sich der Kollege Hinterholzer, dachte er, wenigstens schon einmal entschuldigen und erklären können, warum man den Mordfall hier für sich behalten hatte.
„Sollen wir ihn jetzt einladen oder nicht?“ Einer der beiden Herren in Schwarz mischte sich, leichtfertigerweise, wie Gasperlmaier fand, ein. Wohl einer der
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