Letzter Gipfel: Ein Altaussee-Krimi (German Edition)
Leichenbestatter, schlussfolgerte er. Der Kollege Hinterholzer vollführte eine müde Handbewegung, nachdem er eine seiner Pranken, die denen des Kahlß Friedrich durchaus ähnelten, erfolgreich aus seinem Hosensack hatte befreien können. „Wartet’s draußen, lasst’s ihn noch liegen.“ Hinterholzer tänzelte mit einer Leichtigkeit, die Gasperlmaier ihm nie zugetraut hätte, um die Leiche herum und schüttelte der Frau Doktor sowie ihm die Hand. „Schaun S’, es tut mir ja eh leid.“ Er hob zur Entschuldigung nun beide Arme. „Natürlich hab ich von Ihrer Ermittlung gewusst. Aber zunächst hab ich mir gedacht, Hinterholzer, machst nicht die Pferde scheu, schaust dir die Leich erst einmal selber an. Könnt ja auch sein, dass ihm bloß schwindlig geworden ist und er sich an der Tischkante die Birne eingeschlagen hat. Soll ja schon vorgekommen sein. Weil, wissen S’, wenn ich gleich bei jedem hysterischen Anfall von einer Putzfrau die Kobra in Marsch setz, dann wird’s der Sicherheitsdirektion bald einmal zu teuer.“ Gasperlmaier schien das Vorgehen des Kollegen Hinterholzer nunmehr durchaus logisch. Allerdings, so dachte er bei sich, bei dem Tempo, in dem der Hinterholzer seine Erklärungen vortrug, hätten sie sich die Raserei hierher sparen können. Die vielleicht zehn eingesparten Minuten würden bei der Langsamkeit des Kollegen Hinterholzer bald wieder aufgebraucht sein.
Hinterholzer begab sich nun hinter den Schreibtisch des Opfers und nahm in dessen ausladendem Ledersessel Platz. Für den Herrn Direktor, so fand Gasperlmaier, musste der Sessel viel zu breit gewesen sein, dem Kollegen Hinterholzer passte er hingegen wie angegossen. Der Frau Doktor ging die Geduld aus. „Aber dass ihr den Radiosender informiert, daran habt ihr schon gedacht?“ Der Hinterholzer dachte gar nicht daran, selber zu reagieren oder gar seinen Vortrag fortzusetzen. Stattdessen deutete er auf den Doktor Kapaun, der grinsend neben dem Schreibtisch stand. „Sehr geehrte Frau Doktor!“, trat er strahlend auf sie zu. „Welch ein Vergnügen!“ Die Frau Doktor verschränkte die Arme hinter dem Rücken, damit der Doktor nicht etwa auf die Idee kam, nach ihrer Hand zu greifen, ihr dabei wie zufällig die andere auf die Schulter zu legen oder ihr gar die Hand zu küssen. Die Abneigung, so schien es Gasperlmaier, war durchaus einseitig, denn der Doktor Kapaun fuhr fort zu strahlen, als er seine Erläuterungen begann: „Das Opfer ist von vorne im Stehen erschossen worden. Beide, das Opfer und der Täter, meine ich, sind gestanden. Das schließe ich – trotz einstweilen natürlich nur oberflächlicher Untersuchung – aus der Richtung, in der der Einschuss erfolgt ist.“ Der Doktor Kapaun beugte sich zum Opfer hinunter und machte Anstalten, mit seinen behandschuhten Händen das Sakko des Toten zu öffnen, sodass die Umstehenden die Eintrittswunde zu sehen bekamen. Gasperlmaier wandte sich rasch ab und lenkte seine Aufmerksamkeit auf den Berg, den er durchs Fenster sehen konnte. „Sehen Sie? Die Kugel ist hier, direkt in der Gegend des Herzens, eingedrungen.“ Gasperlmaier versuchte sich zu erinnern, wie der Berg draußen hieß. „Austrittswunde haben wir keine, wir haben es also mit einem kleineren Kaliber von geringer Durchschlagskraft zu tun. Dennoch hat es offenbar eine Herzkammer durchschlagen und zum nahezu sofortigen Tod geführt. Das Projektil werde ich aus dem Herrn Direktor schon noch herausholen, denke ich.“ Der Doktor Kapaun kicherte, während Gasperlmaier verstohlen einen Blick zur Tür warf. Ob er den Raum kurz verlassen konnte? Der Vortrag des Doktor Kapaun galt ja schließlich nicht ihm. Dazu, so stellte er fest, hätte er aber mehr oder weniger über die Leiche hinwegsteigen müssen, deren Kopf der Mediziner, wie es ihm schien, nun sogar an den Haaren in die Höhe hielt. Gasperlmaier fand das pietätlos und versenkte sich wieder in die Betrachtung des Lawinengrabens, der sich vor seinen Augen den Berg herunterzog. „Gestorben ist er vor, schätzungsweise, zwei Stunden. Genauer geht’s derzeit leider nicht.“ Der Doktor richtete sich ächzend auf und Gasperlmaier vermutete, dass er sich die Gummihandschuhe von den Fingern gezogen hatte, als er ein klatschendes Geräusch vernahm. Gasperlmaier drehte sich um. Die Leiche lag wieder auf dem Boden wie zuvor. Der Mediziner kicherte, während der Kollege Hinterholzer versonnen auf einem Zahnstocher herumbiss und den Bürostuhl des Herrn Direktor langsam von links
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