Letzter Gipfel: Ein Altaussee-Krimi (German Edition)
ungläubig den Kopf. „Sie werden gleich verstehen!“ Der Major Hinterholzer war nahe an den Schreibtisch herangerollt und betrachtete interessiert einen Kalender, der dort aufgestellt war. „Im Werkraum ist gesägt und gebohrt worden – da hören Sie keinen Schuss. Die Zeichenlehrerin hat nur gelacht, als ich sie gefragt habe. Wenn sie die 2a hat, hat sie gesagt, dann würde sie nicht einmal den Weltuntergang hören, weil da ein ganzes Rudel verhaltensorigineller Schüler drinsitzt – oder herumrennt, je nachdem. Ein paar von den Räumen sind einfach zu weit weg, in Geschichte haben die sich ein Video über den Vietnamkrieg angeschaut – da ist sowieso dauernd geballert worden.“ Gasperlmaier hatte ja über seine Frau ein wenig Insiderwissen darüber, wie es heute in einer Schule zuging, aber er wollte sich lieber gar nicht vorstellen, was es hieß, ständig in einer Umgebung zu arbeiten, wo es so laut war, dass man nicht einmal einen Schuss hören konnte.
Gasperlmaier schaute sich im Zimmer um, während der Major Hinterholzer weiter erklärte und die Frau Doktor gelegentlich dazwischenfragte. Viel schien ihm der Tatort nicht herzugeben. Da war einer hereingestürmt, hatte auf den Herrn Direktor angelegt, der war aufgesprungen, um gleich darauf tot umzufallen. Wahrscheinlich hatte der Angreifer noch irgendeine Erklärung abgegeben, zumindest stellte Gasperlmaier sich das so vor. Schließlich musste ein Mordopfer ja wenigstens wissen, warum es zu sterben hatte, und für den Täter war es, so mutmaßte Gasperlmaier weiter, ja auch nur dann eine Befreiung, wenn er noch vorbringen konnte, warum er das Opfer ins Jenseits zu befördern beabsichtigte. Wenn der Tod des Herrn Direktor etwas mit der Frau Magister Eisel oder der Sandra Märzendorfer zu tun hatte, so fragte sich Gasperlmaier, was hatte dann der Herr Direktor mit den beiden Opfern zu tun gehabt? Wie ein Casanova hatte ihm der nicht ausgesehen, schon gar nicht wie einer, an dem eine viel jüngere Frau wie die Sandra Märzendorfer interessiert hätte sein können. Gasperlmaier blickte zur Blutlache hinüber. Wie schnell so etwas gehen konnte. Da freust du dich heute noch auf die Pension, denkst dir aus, wofür du dann Zeit haben wirst, und plötzlich bist du zu einem Idealfall für die Pensionsversicherung geworden, weil du nur einbezahlt hast und niemals etwas herausbekommen wirst. Die Krankenversicherung freut sich, weil sie dir keinen Bypass und keine Reha nach dem Schlaganfall zahlen muss, und niemand muss sich mehr Gedanken darüber machen, wer dich wohl pflegen wird, wenn du dir den Hintern selber nicht mehr auswischen kannst. Wer, so fragte sich Gasperlmaier, konnte eine solche Wut auf den Herrn Direktor haben, dass er ihm heute das Licht ausgeblasen hatte? Am ehesten war es wohl der Mörder der beiden anderen Opfer gewesen, überlegte Gasperlmaier. Der Herr Direktor war ihm irgendwie auf die Schliche gekommen, und der Mörder hatte einen unliebsamen Zeugen aus dem Weg geschafft. Oder aber, so überlegte er, jemand hat ihn, den Herrn Direktor, für den Mörder gehalten und an ihm blutige Rache geübt. In beiden Fällen, so dachte Gasperlmaier bei sich, hatte man es mit den gleichen Verdächtigen zu tun, denn schließlich kamen auch für einen Racheakt all jene in Frage, die in die Simone Eisel verliebt gewesen waren.
„Gasperlmaier!“ Unsanft wurde er von der Frau Doktor aus seinen Gedanken gerissen. Er merkte, dass er von dem, was die Frau Doktor und der Herr Major Hinterholzer in den letzten Minuten besprochen hatten, rein gar nichts mitbekommen hatte. Die Frau Doktor deutete bloß mit dem Kopf zur Tür, um Gasperlmaier zu verstehen zu geben, mitzukommen. Der Herr Major erhob sich ächzend, schnappte sich eine große weiße Büroklammer vom Schreibtisch des Herrn Direktor und ging voran. Gleich die erste Tür auf dem Gang war die zum Konferenzzimmer, in dem sich die Lehrer, wie Gasperlmaier vermutete, in den Pausen aufhielten. Der Major Hinterholzer klopfte mit so viel Feingefühl, wie ihm Gasperlmaier gar nicht zugetraut hätte, an die grau gestrichene Tür. Nach geraumer Zeit öffnete eine sehr dünne, nicht mehr ganz junge und äußerst farbenfroh gekleidete Frau die Tür und musterte die drei Polizisten argwöhnisch. „Was wollen Sie denn noch? Ich hab Ihnen doch schon alles gesagt!“ Gasperlmaier seufzte innerlich. Wie sollte man den Leuten, die zu vernehmen waren, auch klarmachen, dass mehrmalige Befragungen, mitunter sogar durch große
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