Letzter Gruss - Thriller
erfuhr. Noch immer konnte er sich nicht daran erinnern, wie er von dort nach Hause gekommen war.
Er holte tief Luft und kehrte in seine enge Zelle zurück.
Die johlenden Jugendlichen waren vom Badestrand verschwunden.
Er sank auf das Bett des Finnen und legte Kimmys Foto auf den Schoß.
Im Kühlraum eines Leichenschauhauses irgendwo außerhalb Roms hatte er die Leichen am Neujahrstag identifiziert. Es war der erste Tag des neuen Jahres, das bislang das absolut schrecklichste seines Lebens war.
Er griff nach seiner Glock und steckte den Lauf in den Mund, es war eine allabendliche Gewohnheit geworden. Er schmeckte Metall und Pulver und fand in einem Gedanken Trost: Der Schmerz hatte ein Ende. Eine kleine Bewegung mit dem Zeigefinger, und seine verzweifelte Sehnsucht hätte ein Ende.
Aber noch nicht. Noch nicht. Noch nicht.
MONTAG, 14. JUNI
23
Die Zeitung Aftonposten befand sich in einer Abwärtsspirale. Die Auflagenzahlen gingen nach unten, weshalb die Werbekunden weniger Anzeigen schalteten, wodurch die Einnahmen zurückgingen, was Einsparungen in der Redaktion zur Folge hatte, wodurch die Auflagen nur noch weiter sanken.
Um diesen Negativtrend aufzuhalten, griff die Geschäftsführung immer häufiger zu Mitteln, die als dreist oder frech aufgefasst wurden. Sie schlugen zumeist fehl.
An anderen Tagen musste bis zum Umfallen geschuftet werden.
Dies war ein solcher Tag.
Dessie hatte sich mit einem druckfrischen Exemplar der Aftonposten hinter ihrem Schreibtisch verschanzt.
Die ganze Zeitung war voll von dem Mord auf Dalarö.
»Geschlachtet von den Postkarten-Killern«, schrie die Schlagzeile von der Titelseite. Das riesige Foto war eine schöne Aufnahme des deutschen Paares. Claudia Schmidt und Rolf Hetger umarmten sich und lachten glücklich in die Kamera. Dessie blätterte weiter zu den wichtigsten Nachrichten der Zeitung auf den Seiten sechs und sieben.
»Tod in den Schären«, lautete die dramatische Schlagzeile. Schau an, die Bildredaktion hatte eines ihrer Fotos von dem gelben Holzhäuschen ausgewählt. Es war richtig gut geworden, mit seiner idyllischen Glasveranda stand es im Kontrast zu den
schweren Wolken am Himmel. Sie überflog den Text. Susanne Gröning, eine der Starreporterinnen, hatte ihn geschrieben.
Seite acht brachte eine aktualisierte Übersicht über die vorangegangenen Morde, illustriert mit Karten und Grafiken. Seite neun stammte aus der Feder von Alexander Andersson, mit der Schlagzeile: »Postkarten-Killer – grausame Lustmörder«.
Andersson behauptete, dass »anonyme Quellen mit Einblick in die Ermittlung« ein »klares Bild von den Mördern« hätten.
Die Postkarten-Killer seien mindestens zwei Männer, hochgradig gestört und vermutlich kriegsgeschädigt, so die Quellen. Sie seien reine Lustmörder, die es genossen, Menschen leiden zu sehen. Die große Gewalt deute darauf hin, dass mindestens einer der Männer kräftig gebaut und sehr stark sei. Da die Opfer überwiegend gut betuchte Touristen gewesen waren, sei das Motiv gleichzustellen mit Terrorismus: Die Tat sei ein Angriff gegen den westlichen Lebensstil.
Mit wachsender Wut las Dessie den Artikel zweimal. Dann stand sie auf und ging hinüber zum Newsdesk. Die Leute um Forsberg herum lachten gerade herzlich, als sie dazustieß.
»Alexander«, sagte sie und hielt Seite neun in die Höhe, »woher hast du denn das hier?«
Der Reporter hob die Augenbrauen und lächelte.
»Bist du scharf auf meine Quellen?«
»Kein Bedarf«, sagte Dessie, »die sind sowieso wertlos.«
Alexander Anderssons Lächeln erstarb. Er stand auf. Dessie spürte die Blicke der Männer auf sich.
»Das stimmt nicht«, sagte sie. »Nichts in der Ermittlung deutet auf Terrorismus oder Lustmorde hin. Ganz im Gegenteil.«
»Und du weißt das so genau, weil sie dir eine Postkarte geschickt haben?«
Einige Männer lachten. Dessie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss.
»Die Behauptungen in diesem Artikel sind falsch, das weiß ich. Und wenn du überhaupt eine Quelle hast, dann sitzt sie kilometerweit weg vom Zentrum der Ermittlung …«
Forsberg erhob sich ebenfalls und fasste sie am Arm.
»Komm«, sagte er. »Wir gehen kurz durch, was heute für dich auf dem Programm steht.«
Alexander Andersson machte einen Schritt auf sie zu.
»Wenn du so wahnsinnig gut Bescheid weißt, warum schreibst du dann nicht darüber?«
Sie machte sich los und sah den Reporter an.
»Auch wenn du es dir sicher nicht vorstellen kannst, aber mein Lebensziel
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