Letzter Gruss - Thriller
einigen Ausnahmen bekannte Kunstwerke nachstellten; von den Ansichtskarten, die Orte symbolisierten, an denen Tod und Kunst miteinander verschmolzen, auch hier wieder mit gewissen Abweichungen; von Jacob Kanon und seiner ermordeten Tochter; von Sylvia und Malcolm Rudolph, ihren Alibis und von Jacobs Überzeugung, dass sie trotz allem die Postkarten-Killer waren.
Das Einzige, was sie ausließ, war die Nacht in Jacobs Jugendherbergszelle.
Zwei Pieptöne des Handys verrieten, dass jemand versuchte, sie anzurufen, aber sie ignorierte es.
Charlotta Bruckmoser schwieg eine ganze Weile, nachdem Dessie zu Ende erzählt hatte.
»Davon habe ich in keiner Zeitung etwas gelesen«, sagte sie schließlich.
»Nein«, sagte Dessie, »und ich bezweifle, dass Ihnen irgendeine offizielle Stelle diese Informationen bestätigen würde.«
»Und was glauben Sie selbst?«, fragte die Reporterin vorsichtig. »Sind die Geschwister Rudolph schuldig?«
Dessie zögerte mit der Antwort.
»Ehrlich gesagt, ich bin mir nicht mehr sicher«, sagte sie.
Erneutes Schweigen.
»Warum erzählen Sie mir das alles?«, fragte die Österreicherin.
Schon wieder die beiden Pieptöne. Da wollte sie jemand unbedingt sprechen.
»Das Foto, das Sie bekommen haben«, sagte Dessie. »Ich würde mir dieses Foto gerne mal ansehen.«
»Ich schicke Ihnen die Karte und den Brief und das ganze Zeug per Mail«, sagte Charlotta Bruckmoser.
Vier Sekunden später machte es »pling« in Dessies Mailbox.
Überall im Zimmer war Blut, als wären die Opfer noch herumgekrochen, während sie verbluteten. Zwei Lampen waren zerschmettert. Die Leichen lagen mit etwa einem Meter Zwischenraum seitlich vornübergekippt auf dem Fußboden.
»Gibt es ein österreichisches Kunstwerk mit einem ähnlichen Motiv?«, fragte Dessie.
Die Reporterin schien nachzudenken.
»Das kann ich mir kaum vorstellen«, sagte sie, »aber ich bin kein Experte.«
Dessie öffnete die PDF-Datei mit der Kopie des Briefumschlags und betrachtete die Adresse, sie war mit den gleichen Blockbuchstaben geschrieben wie die anderen. Aber auf der Rückseite war etwas,
das dieses Kuvert von den anderen unterschied: neun Ziffern, hastig hingekritzelt.
»Die Zahlen auf der Rückseite«, sagte Dessie, »was ist das?«
»Eine Telefonnummer«, antwortete Charlotta Bruckmoser. »Ich habe mal probehalber angerufen, da meldet sich eine Pizzeria in Wien. Die Polizei geht davon aus, dass es nichts mit dem Fall zu tun hat.«
Im selben Moment kam wieder ein Signal von Dessies Mailbox. Sie merkte, wie sich ihr Magen zusammenkrampfte.
Das ist Jacob, schoss es ihr durch den Kopf. Er hat mir eine Mail geschickt, weil er mich vermisst.
Sie war von Gabriella.
Hab versucht, dich anzurufen. Neuer Doppelmord. In Oslo.
»Ich muss Schluss machen«, sagte Dessie und drückte Charlotta Bruckmoser weg.
Los Angeles, USA
88
Die University of California in Los Angeles konnte es von der Größe her mit jeder mittleren Stadt im mittleren Westen der USA aufnehmen. Über 30 000 Studenten, fast 200 Gebäude, und jedes Jahr gab es über 50 000 neue Aufnahmebewerbungen.
Jacob hatte das Navi auf den Charles E. Young Drive programmiert, eine Adresse auf dem nördlichen Campus, an der sich das Institut für Kunst und Architektur befand.
Er raufte sich die Haare und versuchte, den Anweisungen der Computerstimme zu folgen, und natürlich verfuhr er sich. Also ließ er die Seitenscheibe herunter und fragte ein paar langhaarige Typen mit Rucksäcken, wo das Arts war. Er bekam eine prompte und korrekte Wegbeschreibung.
Er parkte vor ein paar Gebäuden, die ungefähr ebenso fantasieanregend waren wie Dessies Betonvororte im Süden Stockholms. Er verglich die Adresse mit Lyndon Crebbs’ Anweisungen, ja, hier musste es sein.
Seine Kontaktperson, Nicky Everett, erwartete ihn auf der Treppe vor Nummer 240. Der junge Mann trug Chinos, einen Golfpullover, Segelschuhe und eine randlose Brille.
Jacob war noch nie einem Doktoranden der konzeptuellen Kunst begegnet, aber ein bisschen bärtiger und weltferner hatte er ihn sich schon vorgestellt.
»Schön, dass Sie Zeit für mich haben«, sagte Jacob.
»Ich glaube an eine Kunst, die kommuniziert«, erwiderte Nicky Everett ernst und sah ihn durch seine blankgeputzten Brillengläser an.
»Äh«, sagte Jacob, »Sie kannten Malcolm und Sylvia Rudolph?«
»Ich würde nicht den Imperfekt verwenden«, sagte Nicky Everett. »Auch wenn wir derzeit keine physische Gemeinschaft haben, gibt es doch eine
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