Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi
Messer hat eh jeder in der Lederhose, und schon ist es geschehen. Hat er halt Pech gehabt, der Doktor, dass er in dieser Nacht der Letzte am Pissoir war und ihn niemand gefunden hat, bevor er verblutet ist.
Gasperlmaier kraulte sich nachdenklich am Kinn. „Ja, schon. Aber der Marcel …“ Gasperlmaier konnte sich nicht vorstellen, dass dieser Windhund, so viel er auch ausgefressen haben mochte, jemanden aus Eifersucht im Streit abstach. Der war doch einer, der am Montag schon die Nächste im Bett hatte, wenn die vom Sonntag ihre Sachen zusammengepackt hatte. Eifersucht, so dachte Gasperlmaier, war dem fremd. Und das erklärte er auch der Frau Doktor.
„Sehen Sie, Gasperlmaier, darum habe ich Sie mitgenommen. Kaum taucht ein neuer Verdächtiger auf – Sie kennen ihn und können mir Hintergrundinformation geben.“ Völlig überraschend klopfte sie ihm auf die Schulter, was in Gasperlmaier ein angenehmes Rauschen der Hormone, welcher auch immer, auslöste. Das hätte er sich nicht gedacht, dass eine völlig unbedeutende Handbewegung dieser Frau ihn so berühren könnte. „Was glauben Sie denn, was auf der Speicherkarte drauf ist?“, wollte Gasperlmaier jetzt wissen.
Vorsichtig in die Hauptstraße einbiegend, gleichzeitig die Achseln zuckend, antwortete die Frau Doktor: „Jedenfalls etwas, das er vor seiner Familie, vielleicht auch vor Mitarbeitern oder Konkurrenten, geheim halten wollte. Können ja auch Daten drauf sein, Dokumente, Verträge. Vielleicht hat er auch Pornovideos darauf gespeichert, was weiß ich. Jedenfalls etwas, das uns interessieren muss.“
Gasperlmaier war nicht wohl bei dem Gedanken, mit der Frau Doktor zusammen auf dem Polizeiposten eventuell Pornovideos anschauen zu müssen.
Inzwischen waren sie gegenüber dem Hotel „Villa Salis“ angekommen, das für Gasperlmaier wie für jeden anderen Altausseer immer noch das „Hotel Kitzer“ war, wo die Mutter des Gasperlmaier als junge Frau die Kuchen gebacken und die Torten dekoriert hatte. Hier war Endstation – die Straße war gesperrt, denn die Kirtagsstände waren ja vom Tatort Bierzelt nicht betroffen und durchaus gut besucht – auch hier konnte man notfalls das eine oder andere Bier und vorzügliche Schnäpse genießen. Gasperlmaier hatte erst gestern den Stand eines Schnapsbrenners aus dem Oberösterreichischen entdeckt, ein pensionierter Lehrer mit einem klapprigen VW -Bus, der nicht nur hervorragenden Schnaps brannte, sondern auch viele Geschichten um den Schnaps herum zu erzählen wusste, sodass Gasperlmaier eine um die andere Kostprobe hatte zu sich nehmen müssen, um den Lehrer nicht beim Reden zu unterbrechen.
Da der Gaisrucker Marcel zu Hause bei seiner Mutter wohnte, die ein Haus mitten im Ortszentrum besaß, mussten sie den Rest des Weges zwischen den Kirtagsständen zu Fuß zurücklegen. Da und dort schnappte Gasperlmaier auf, dass der Mord im Pissoir das Gespräch des Tages zu sein schien, manch einer warf Gasperlmaier und seiner Begleitung vielsagende Blicke zu, der eine oder andere grüßte oder zog sogar seinen Ausseerhut vor der Frau Doktor. Gasperlmaier war die viele Aufmerksamkeit zuwider, er versuchte sich mit ein wenig Abstand im Windschatten der Frau Doktor zu halten, doch sie drehte sich zu ihm um: „Gasperlmaier, wo bleiben S’ denn?“ Er beeilte sich, wieder an die Seite der Frau Doktor zu schlüpfen, als er einen Stand erblickte, in dem ein Riesenlaib warmer Leberkäse hinter einer Glasvitrine vor sich hin dampfte. Sofort lief ihm das Wasser im Mund zusammen, er hatte ja seit dem Frühstück keine Gelegenheit gehabt, etwas zu sich zu nehmen, und es ging schon auf Mittag zu. Zwar schenkte die Frau an dem Stand offenbar nur Dosenbier – Dosenbier! – aus, aber in der Not fraß bekanntlich sogar der Teufel Fliegen.
„Frau Doktor, wenn Sie vielleicht einen Hunger hätten?“, lenkte Gasperlmaier vorsichtig die Aufmerksamkeit der Frau Doktor auf den Leberkäsestand.
„Gasperlmaier, Sie haben Hunger und Sie wollen eine Leberkäsesemmel. Kaufen Sie sich eine. Ich kann noch ohne auskommen.“ Es war schrecklich und zermürbend, wie schnell und gründlich die Frau Doktor einen durchschaute, wahrscheinlich war sie für den Beruf der Kriminalbeamtin wirklich geboren. Missmutig, denn der Appetit war ihm vergangen, bestellte sich Gasperlmaier eine Leberkäsesemmel mit Senf und Pfefferoni. Eigentlich hätte er große Lust darauf gehabt, sie wenigstens mit einem Dosenbier hinunterzuspülen, doch der bohrenden
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