Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi
Blicke wegen, die er in seinem Nacken fühlte, unterließ er es. Stattdessen kaufte er für die Frau Doktor ein Mineralwasser, das war er ihr schuldig, wie er glaubte. Die Frau Doktor bedankte sich lächelnd, als er ihr die Wasserflasche reichte, und Gasperlmaier fühlte sich sofort um vieles besser. Warum bloß war er in so kurzer Zeit so abhängig von den Launen dieser Frau geworden, fragte er sich.
An seiner Semmel kauend legte Gasperlmaier, den Weg zeigend und die Frau Doktor führend, die wenigen Schritte zum Haus der Gaisruckers zurück, in dessen Erdgeschoß als Zeuge eines schiefgegangenen Unternehmens des Marcel Gaisrucker eine leere Auslagenscheibe vor sich hin verstaubte, auf der verschiedene Aufkleber von Firmen, die Zubehör für Gleitschirmflieger anboten, zerbröselten. Der Marcel hatte sich vor ein, zwei Jahren eingebildet, mit dem Verkauf von Gleitschirmen und deren Zubehör das große Geschäft machen zu können und seine Mutter überredet, das Erdgeschoß des Hauses zu einem Geschäft umbauen zu dürfen. Jetzt, nachdem er damit pleite gegangen war, logierte der Marcel halt privat in seinem Ladenlokal.
„Nicht an der Haustür läuten, der Marcel wohnt im Geschäft“, beeilte sich Gasperlmaier, der Frau Doktor den richtigen Weg zu weisen. Tatsächlich fand sich neben der Ladentür eine mit Klebeband festgemachte Klingel, von der ein loses Kabel durch einen Spalt in der offenbar nicht sehr dicht schließenden Tür führte. Nach dem Drücken des Klingelknopfs erklang nicht etwa durchdringendes Geschepper wie bei Gasperlmaier zu Hause, sondern eine Melodie, die er zu erkennen glaubte – womöglich aus einer Fernsehserie. Wie schon bei den Naglreiters rührte sich auch diesmal nichts hinter der Tür – stattdessen ging ein Fenster auf, aus dem sich der Kopf einer Frau schob. Gasperlmaier nickte nach oben. „Grüß dich, Gerti. Wir wollen zum Marcel, ist er daheim?“ Etwas dünn und verhärmt sah sie aus, die Gaisrucker Gerti, fand Gasperlmaier, aber immer noch fesch, eigentlich. Damals, in der Hauptschule, hatte sie ihm gut gefallen, er glaubte sich zu erinnern, dass sie einander bei einer Tanzveranstaltung der katholischen Jugend sogar ein wenig näher gekommen waren, aber das war wohl schon dreißig Jahre her.
„Hat er wieder was ang’stellt, der Marcel?“ Misstrauisch musterte die Gaisrucker Gerti den Gasperlmaier mit der eleganten Dame neben sich, worauf sich Gasperlmaier verpflichtet fühlte, diese vorzustellen: „Das ist die Frau Doktor Kohlross vom Bezirkspolizeikommando. Wir möchten den Marcel nur was fragen – ob er vielleicht was gesehen hat, du weißt eh, wegen dem Mord im Bierzelt heute Nacht.“
„Daheim ist er. Aber ob ihr ihn was fragen könnt’s, das möchte ich bezweifeln, so besoffen, wie der gestern war.“ Ohne weiteren Kommentar schloss sie das Fenster mit einem lauten Knall, so, als ob sie versuchte, dadurch die Eskapaden ihres Sohnes aus ihrem Leben hinauszuhalten.
Hinter der Tür rührte sich noch immer nichts, obwohl die Frau Doktor die Melodie der Gaisrucker’schen Klingel noch mehrmals vorgespielt hatte. „Sagen S’, Gasperlmaier, was erzählen Sie denn da der Frau Gaisrucker von einem Mord im Bierzelt? Ich hab mir gedacht, Sie haben den Herrn Doktor Naglreiter im Klo gefunden?“
Gasperlmaier schoss ein Hormonstoß prickelnd durch den ganzen Körper bis in Finger- und Zehenspitzen, und zum zweiten Mal an diesem Tag wünschte er sich inständig, dass die Tür, vor der sie warteten, aufgehen möge, sodass er einer Antwort enthoben wäre. Gerade begann er sich stotternd und mit den Armen rudernd eine Ausrede zurechtzuzimmern, als hinter der Auslagenscheibe ein Gepolter einsetzte, jemand hustete und dann ganz erbärmlich fluchte. „Wer stört?“, meldete sich eine Reibeisenstimme durch die geschlossene Geschäftstür. Der Frau Doktor Kohlross schien jetzt die Geduld mit verkaterten Kirtagsbesuchern endgültig auszugehen. „Kriminalpolizei! Öffnen Sie!“, rief sie nun ebenso barsch durch die Tür zurück, wie es dahinter hervorgeklungen hatte.
Ein Schlüssel bewegte sich scheppernd im Schloss, und als sich die Tür öffnete, stand der Gaisrucker Marcel vor ihnen, nur mit seiner Lederhose bekleidet. Er war zwar ein Hallodri, dachte Gasperlmaier bei sich, aber man konnte schon sehen, was die Frauen an ihm fanden. Schlank und durchtrainiert war er, ganz ohne Haare auf der Brust, wie das heute modern war, sein Haupthaar trug er schulterlang, und so ein
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