Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi
die Haare hinter die Ohren. „Konkrete Spuren gibt es sehr wohl, die werden gerade von der Spurensicherung ausgewertet. Wir wissen zum Beispiel, dass der Fundort im Falle des männlichen Opfers nicht der Tatort war. Und wir suchen intensiv nach dem Tatort für den zweiten Fall. Mehr Einzelheiten möchte ich aus ermittlungstechnischen Gründen derzeit nicht bekannt geben.“
„Die Polizei weiß also wieder einmal nichts.“ Die Reporterin wandte sich von der Frau Doktor ab und den Zuschauern vor dem Bildschirm zu. „Wenn Sie allerdings geglaubt haben, dass sich die Altausseer von einem Mord auf ihrem Kirtag vom Feiern abhalten lassen würden, dann haben Sie sich getäuscht.“
Nun sah man Filmausschnitte vom Kirtag, während die Reporterin aus dem Off weitersprach. Man sah Männergruppen in Lederhosen, die sich krachend mit Bierkrügen zuprosteten, Gasperlmaier erkannte auf einem kurzen Ausschnitt den Spendlingwimmer Leo, den man gefilmt hatte, als er gerade in einem einzigen langen Zug eine Halbe Bier leertrank. Dann kamen Bilder von der Musik im Bierzelt, und dazu sprach die Reporterin: „Nur Stunden, nachdem nebenan auf der Toilette ein Mann kaltblütig ermordet worden ist, wird hier wieder zünftig aufgespielt. Die Blutspuren sind beseitigt, das Fest kann weitergehen.“
„Das ist eine dermaßen blöde Kuh!“, ereiferte sich die Christine, „die drehen einfach alles so hin, wie sie es gerade brauchen. Dass die Leute da im Bild mit dem Doktor Naglreiter so viel zu tun haben wie ich mit dem Bürgermeister von Pago-Pago, daran denken die nicht einmal!“
Wenigstens, dachte Gasperlmaier, glauben sie immer noch, dass der Doktor im Pissoir verblutet ist. Jetzt kam die Schneider Traudl ins Bild, die Gasperlmaier schon seit der Schulzeit kannte. „Was sagen Sie zu dem Doppelmord, der heute in Altaussee passiert ist?“ Die Schneider Traudl sah der Reporterin ins Gesicht, blickte dann aber direkt in die Kamera, sodass man den Moment erkennen konnte, in dem sie bemerkte, dass sie ins Fernsehen kommen würde. „Furchtbar ist das! Ganz furchtbar!“, wimmerte sie ins Mikrofon der altrosa Blonden. „Dass es so was bei uns in Altaussee geben könnt’, das hätten wir uns nie gedacht! Das gibt’s doch sonst nur in Wien! Der war doch auch ein Wiener, oder?“ Es folgte ein Schnitt, und das Wohnhaus der Naglreiters war zu sehen. „Hier hatte sich die Wiener Familie einen Lebenstraum erfüllt. Doktor Naglreiter und seine Frau haben dieses Haus erst vor wenigen Jahren erbaut und wollten es als Alterssitz nutzen. Ein tragisches Schicksal hat das verhindert.“ Die Christine redete wieder drein: „Das ist ja das Letzte, wie die das ausschlachten. Da wird einem ja schlecht bei so viel Gefühlsduselei.“
Nun hatte die Reporterin einen Mann in Lederhose und kariertem Hemd angehalten, den Gasperlmaier nicht kannte. „Was sagen Sie zu den Morden?“ Der Mann zögerte, worauf die Kamera nahe an sein Gesicht heranzoomte. „Eine Sauerei ist das, sag ich. Kann man nicht einmal mehr auf den Kirtag gehen? Geht’s da schon zu wie in Chicago?“ Ein Schnitt folgte, und Gasperlmaier traf fast der Schlag. In der nächsten Einstellung konnte man ihn und den Kahlß Friedrich auf einer Bierbank vor dem Bierzelt sitzen sehen, wie sie gerade ihre Mittagspause gemacht hatten. Der Pfarrer Ainhirn war durch Gasperlmaier halb verdeckt, die Frau Doktor Kohlross war offenbar gänzlich hinter dem Kahlß Friedrich verschwunden. Die Kamera zoomte auf Gasperlmaiers Kopf, der gerade das Bierglas ansetzte, um einen tiefen Schluck daraus zu nehmen. Der Kommentar der Reporterin dazu: „Und was macht die Polizei? Die sitzt gemütlich vor dem Bierzelt und feiert. Kein Wunder, dass noch keine Ergebnisse der Ermittlungen vorliegen.“ Damit war der Bericht zu Ende.
Gasperlmaier schlug die Hände vor das Gesicht. Wie sollte er mit diesem Bild, das sicher alle im Ort gesehen hatte, leben? Es war doch nur eine harmlose Mittagspause gewesen, jeder musste doch einmal jausnen, und ein Bier dazu zu trinken, war das denn ein Verbrechen?
Die Christine legte ihm einen Arm um die Hüfte. „Reg dich jetzt nicht auf, Gasperl“, flüsterte sie beruhigend, „das kann jedem von uns einmal passieren. Das passiert doch andauernd. Aus dem Zusammenhang gerissene, sensationsgeile Bilder mit hämischen Kommentaren – das ist der Alltag in den Medien.“
Gasperlmaier stöhnte: „Aber die Leute glauben doch das, was sie sehen! Das Fernsehen lügt ja nicht!“ Die
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