Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi
Christine musste ihm recht geben. Gasperlmaier merkte das daran, dass sie den Kopf an seine Schulter legte und nichts sagte. Das tat sie oft, wenn Widerspruch nicht möglich und Zustimmung nicht sinnvoll erschien.
Gasperlmaier hatte genug, endgültig genug. „Ich ruf jetzt die Frau Doktor Kohlross an und sag ihr, dass ich den Naglreiter ins Klo gelegt hab, und sie sollen mit mir machen, was sie wollen, und dass ich mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun haben will.“ Gasperlmaier hatte ein Gefühl, als hätte er völlig die Kontrolle über sein Leben verloren, als stürzten Dinge auf ihn herein, mit denen er nichts anfangen konnte, bei denen er nicht wusste, wie er handeln sollte, um sie wieder loszuwerden. Alles prasselte auf ihn herab, er fühlte sich schutzlos und völlig außerstande, sich von all dem zu befreien, was ihn zu Boden drückte.
Gerade als er aufstand, um sein Handy aus der Uniformjacke zu holen, fing es an zu läuten. Gasperlmaier zuckte zusammen. Sicher war es jemand, der ihn im Fernsehen gesehen hatte und sich jetzt auch noch über sein Unglück lustig machen wollte. Unsicher blickte er zur Christine hinüber, das piepsende Handy in der Faust, und wusste nicht, ob er abheben oder es zerquetschen sollte. Die Christine nickte und Gasperlmaier sah auf das Display, bevor er den grünen Knopf drückte. Jetzt konnte er endlich reinen Tisch machen.
„Lieber Herr Gasperlmaier, regen Sie sich bitte nicht allzu sehr auf. Ich habe auch gerade ferngesehen.“ Die Stimme der Frau Doktor Kohlross beruhigte ihn. Offenbar musste er sich nicht auf das Donnerwetter gefasst machen, das er erwartet hatte. Das Handy am Ohr, sank Gasperlmaier wieder auf seinen Platz auf dem Sofa neben der Christine. „Ich war ja schließlich auch dabei, ich hätte ja eingreifen können, wenn ich der Meinung gewesen wäre, Sie dürften in dieser Situation in der Öffentlichkeit nicht einmal ein Bier trinken.“ Die Christine lehnte sich an Gasperlmaiers Schulter, um das Gespräch mithören zu können. Weit davon entfernt war Gasperlmaier, dass ihm das peinlich gewesen wäre. „Ich möchte Ihnen auch …“, Gasperlmaiers Redefluss versiegte, bevor er noch richtig ins Strömen gekommen war. Die Christine stieß ihn sanft in die Rippen und nickte auffordernd.
Doch bevor er, nach ausgiebigem Atemholen, zu einem Geständnis ansetzen konnte, unterbrach ihn die Frau Doktor. „Gasperlmaier, ich habe einen Verdacht, wer den Toten vom Tatort ins Klo gezerrt haben könnte. Mittlerweile wissen wir, wo der Mann verblutet ist. Er ist auf einer Bank gesessen und dort offenbar zusammengebrochen, ohne hinunterzufallen.“ Gasperlmaier nickte. „Und ich habe den starken Verdacht, dass Sie ihn hinausgeschleift haben.“
Die Frau Doktor schwieg. Gasperlmaier nickte heftig und zuckte dazu mit den Schultern. Eine Form der Kommunikation, die er heute bereits sehr häufig hatte anwenden müssen und die der Christine zwar seine Verwirrung und Ratlosigkeit deutlich machte, während die Frau Doktor am anderen Ende der Leitung offenbar auf eine Reaktion wartete, die auch sie wahrnehmen konnte. Wiederum musste die Christine den Gasperlmaier stoßen und dazu heftig nicken. Zur Beruhigung legte sie ihm die Hand auf den Oberschenkel. „Ja“, brachte Gasperlmaier heraus, „ich hab das getan. Es war ein furchtbarer Blödsinn, Frau Doktor, ich weiß, dass jetzt …“ Wieder unterbrach sich Gasperlmaier, der sich dabei ertappte, dass er gar nicht genau wusste, was jetzt passieren würde, nur dass er ganz der Gnade der Frau Doktor ausgeliefert war. „Sagen Sie mir nur eines, Gasperlmaier – warum?“ Wieder vergingen einige Sekunden, bevor sich Gasperlmaier Worte zurechtgelegt hatte. „Ich wollte, dass … wegen dem Kirtag, dass das Bierzelt nicht zugesperrt … wo doch für alle der Kirtag so wichtig ist, wissen Sie, Frau Doktor“, jetzt war Gasperlmaier ein wenig in Fahrt gekommen. „Das ganze Jahr machen sie ein Theater wegen dem Kirtag, dass sie das Geld so dringend brauchen, und die Touristen, die kommen schon aus ganz Österreich, und da machen sie Druck, und ich hab mir gedacht, wenn jetzt wegen mir der Kirtag ausfällt, dann habe ich den Scherm auf, den sprichwörtlichen, und …“ Gasperlmaiers Energie war verpufft und aufgebraucht. Am anderen Ende der Leitung atmete die Frau Doktor tief durch. „Gasperlmaier“, sagte sie nach einer kurzen Pause, „für so blöd hätte ich Sie nicht gehalten.“ Christine fing an zu kichern.
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