Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi
verfahrener, als ein rostiger Güterwagen auf dem hintersten Abstellgleis der allereingestelltesten der Nebenbahnen der ÖBB sein konnte. Normalerweise nannte sie ihn liebevoll Gasperlmaier, oder auch kurz Gasperl, was manchmal auch als „Kasperl“ daherkam. In besonders intimen Situationen fielen ihr noch allerhand andere Kosenamen für Gasperlmaier ein, doch daran mochte der Angesprochene jetzt gar nicht denken. „Franz“ war so ziemlich das Schlimmste, was ihm passieren konnte. „Du solltest dich schon entschieden haben, Franz“, fuhr die Christine fort, „ob du irgendeinem versoffenen Fetzenschädel im Bierzelt vertraust oder deiner Ehefrau!“ Sie sprang mehr, als dass sie sich erhob, von der Bank, raffte mit entschlossenen Bewegungen das Geschirr auf dem Tisch zusammen und setzte es laut klappernd neben der Abwasch ab. Dann lehnte sie sich mit dem Gesäß daran und verschränkte die Arme unter der Brust, die, wie Gasperlmaier feststellte, heftig wogte.
Gasperlmaier wusste, dass alle Erklärungsversuche ins Leere laufen würden. Er hätte den Vorfall so darstellen müssen, dass er nicht im mindesten an ihrer ehelichen Treue zweifelte, sondern ihr im Gegenteil nur von der haltlosen Anschuldigung, die gegen sie vorgebracht worden war, berichtete, sie gewissermaßen neutral darüber informierte, was ein Betrunkener über sie geäußert hatte, quasi mit ihr gemeinsam über diesen Unsinn lachte. Sein Bericht hatte aber anklagend geklungen, sodass jetzt alle Beteuerungen und Entschuldigungen zu spät kamen, da mochte er reden, so viel er wollte. Dennoch versuchte er es. „Ich hab natürlich keine Minute … ich hab ihm doch sofort das Bier ins Gesicht geschüttet. Obwohl nur mehr ziemlich wenig drinnen war.“ Gasperlmaiers Stimme klang so leer, wie er sich fühlte. „Gasperlmaier, Gasperlmaier“, seufzte die Christine, und da wusste er, dass das Schlimmste schon vorbei war, da sie vom Franz wieder zum Gasperlmaier zurückgefunden hatte. „Nicht nur, dass du der Kommissarin aus Liezen schöne Augen machst, verdächtigst du auch noch deine treu sorgende Gattin des Ehebruchs mit einem Wiener Lederhosenträger.“
Die Christine hatte nur Verachtung übrig für die ganzen Touristen aus Wien, den Landeshauptstädten, aus West- und Ostdeutschland und wo auch immer sie herkommen mochten, wenn sie sich mit der ortsüblichen Tracht verkleideten, wie sie das nannte. Sogar über den Salzbaron, den ehemaligen Minister, hatte sie gehöhnt, als der sich für eine Werbebotschaft eines Telekommunikationsunternehmens in Altausseer Tracht auf einer Plätte mitten im Altausseer See hatte ablichten lassen. „Die Wiener“, pflegte die Christine zu wettern, „verkleiden sich in unsere Tracht, weil sie das alles putzig und niedlich finden, zu einer reinen Mode verkommen lassen und glauben, sie können hinten bei der Seewiese einen Heimatfilm aufführen, wenn sie dort ihre Taufen und Hochzeiten in Dirndln und Lederhosen herunterspielen.“ Die Tracht gehörte den Ausseern allein, war ihre Meinung, und sogar bei den eingesessenen Trachtenschneidern, die auch den Wiener Prominenten, dem russischen Reeder und dem schottischen Whiskybrenner eine Lederhose anmaßen, hatte sie sich schon mit spitzen Bemerkungen unbeliebt gemacht. Sogar Gasperlmaiers Cousin zweiten Grades, der Herbert, der lediglich einmal zwei Monate in Bad Aussee in die Volksschule gegangen war und sonst achtzig Kilometer entfernt im oberösterreichischen Schwanenstadt seinen Beschäftigungen nachging, hatte sich, als er sich zu seinem Fünfziger eine Ausseer Lederhose hatte schneidern lassen, ihre sarkastischen Bemerkungen anhören müssen.
Eigentlich, dachte Gasperlmaier, hätte er es wissen müssen. Niemals im Leben hätte sich die Christine mit so einem Wiener Schnösel eingelassen, selbst wenn er sie hinten und vorne nicht befriedigen hätte können, er ihr ganztags wie nachts nur auf die Nerven gegangen wäre und sein ganzes Gehalt versoffen hätte. Die Christine hätte sich vielleicht mit einem feschen, vielleicht auch jungen Altausseer getröstet, oder mit einem Jazzmusiker in Jeans und einem schwarzen Leiberl mit einem Totenschädel drauf, oder vielleicht noch lieber mit einem Literaten im Rollkragenpullover. Eifersucht keimte in Gasperlmaier auf, völlig ohne Anlass, dennoch, wenn er an die Musiker und die Literaten dachte, war sein Minderwertigkeitsgefühl den Gebildeten gegenüber stets präsent. Auch war es ihm schon wieder innerlich peinlich, dass
Weitere Kostenlose Bücher