Letzter Mann im Turm - Roman
überwinden können, wenn wir alle –»
Der alte Lehrer schüttelte den Kopf. «Ich lebe von meiner Rente, Sunil, bitte jemand anders um eine Spende.»
Peinlich berührt, dass er das vor den anderen hatte sagen müssen, schob Masterji den Jungen, vielleicht ein wenig zu heftig, aus dem Zimmer.
Nach dem Abendessen, während sie Ramus Wäsche auf dem Esstisch zusammenlegte, betrachtete Mrs Puri ein Dutzend reife Mangos. Ihr Mann schaute sich im Fernsehen die Wiederholung eines Kricketklassikers an – Indien gegen Australien. Er hatte die Mangos als Leckerbissen für Ramu mitgebracht, der unter seiner mit Flugzeugen bedruckten Decke schlief.
Sie zog die Tür hinter sich zu, ging die Treppe hinauf und drückte mit der linken Hand gegen die Tür von Masterjis Wohnung.Mit der rechten Hand presste sie drei Mangos gegen ihre Brust.
Wie sie erwartet hatte, war die Tür offen. Masterji hatte die Füße auf den kleinen Teakholztisch im Wohnzimmer gelegt und spielte mit einem bunten Würfel, den sie nicht gleich identifizieren konnte.
«Ein Rubik’s Cube», staunte sie. «Ich habe seit vielen Jahren keinen mehr gesehen.»
Er hielt ihn hoch, damit sie besser sehen konnte.
«Ich habe ihn in einem der alten Schränke gefunden. Ich glaube, er gehörte Gaurav. Funktioniert.»
«Überraschung, Masterji.» Sie drehte ihm die Mangos in ihrem rechten Arm zu.
Er legte den Rubik’s Cube auf den Teakholztisch.
«Das wäre nicht nötig gewesen, Sangeeta. Das ist zu großzügig.»
«Nehmen Sie sie. Sie unterrichten unsere Kinder seit dreißig Jahren. Soll ich sie aufschneiden?»
Er schüttelte den Kopf.
«Ich esse nicht jeden Tag Süßigkeiten, nur einmal die Woche – und dieser Tag ist nicht heute.»
Er würde keine Ausnahme machen, das wusste sie.
«Wann besuchen Sie Ronak?», fragte sie.
«Morgen.» Er lächelte. «Am Nachmittag. Wir gehen in den Byculla-Zoo.»
«Gut, dann nehmen Sie sie ihm mit. Ein Geschenk von seinem Großvater.»
«Nein», sagte er, «der Junge sollte nicht mit Mangos verwöhnt werden. Sie sind immer zu großzügig, Sangeeta. Ich habe gesehen, dass ein Hund auf der Treppe liegt. Er scheint krank zu sein, er stinkt. Ich hoffe, Sie haben ihn nicht ins Haus gebracht, wie Sie das schon einmal getan haben.»
«O nein, Masterji», sagte sie und klopfte auf die Mangos inihrem Arm. «Ich doch nicht. Es war wahrscheinlich wieder Mrs Rego.»
Obwohl sie Masterji die Mangos eigentlich nicht gegeben hatte, fühlte Mrs Puri dieselbe nachbarliche Berechtigung, die sich aus einer Schenkung ergeben hätte, und trat vor sein Bücherregal.
«Werden Sie gläubig, Masterji?»
«Natürlich nicht», sagte er, «Religion ist Zucker für das Hirn.»
Sie zog ein schmales Taschenbuch aus dem Regal und zeigte es ihm als Beweis, auf dem Titelbild flog der göttliche Adler Garuda über die sieben Weltmeere.
Der Weg der Seele nach dem Tode.
Laut las sie daraus vor: «In ihrem ersten Jahr außerhalb des Körpers reist die Seele langsam und in geringer Höhe, niedergedrückt von den Sünden ihres …»
«Purnimas erster Todestag steht bald an, Mrs Puri. Sie wollte, dass ich über Gott lese, wenn sie nicht mehr da ist …»
«Denken Sie oft an sie, Masterji?»
Er zuckte die Schultern.
Nach seiner Pensionierung hatte Masterji gehofft, nochmals seine Krimisammlung und die Geschichtsbücher über das alte Rom (Sueton
Die römischen Kaiser,
Tacitus
Annalen,
Plutarch
Vergleichende Lebensbeschreibungen)
und das alte Bombay (Das
Leben des Mountstuart Elphinstone; Die Entstehung Bombays. Eine vollständig bebilderte Stadtgeschichte)
lesen zu können. Eine
Französische Grammatik für Fortgeschrittene (mit Fragen und Auflösungen)
stand ebenfalls im Regal. Aber nachdem die Krimis im ganzen Wohnhaus gefragt waren und die Nachbarn sie häufig ausliehen (und selten zurückgaben), würden ihm bald nur noch die Geschichtsbücher und die fremdsprachige Grammatik bleiben.
Mrs Puri erhob Anspruch auf eine der letzten Agatha Christies im Regal und lächelte; es gab auch ein paar Erle Stanley Gardners, aber
so
langweilig war ihr nun auch wieder nicht.
«Steht an meiner Tür Agatha-Christie-Leihbibliothek?», fragteMasterji. «Ich werde keine Bücher mehr zu lesen haben, wenn die Leute sie ständig ausleihen.»
«Ich nehme das für meinen Mann mit. Nicht, dass ich nicht selbst lese, Masterji. In meinen Collegezeiten war ich eine große Leserin.» Sie hob die Hand über ihren Kopf, um das Ausmaß anzuzeigen. «Aber mit dem Jungen, wo
Weitere Kostenlose Bücher