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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Wucht quollen Bücher und Zeitungen heraus wie Rogen aus dem aufgeschlitzten Bauch eines Fisches. Alle paar Wochen schmiss Mr Puri auf der Suche nach einem Scheck oder einem Brief die ganzen Zeitschriften durcheinander und schrie: «Warum räumen wir diese Wohnung nicht auf!» Aber das Chaos breitete sich nur noch weiter aus. Dieser Überwurf aus Gerümpel verstärkte aber den häuslichen Glanz der sauberen Betten und des gut gefüllten Kühlschranks, denn (und Außenstehende begriffen das instinktiv) diese chaotische, schmuddelige Wohnung war Aladins private Schatzhöhle. Die Puris hatten kein Eigentum und nur wenig Geld. Was sie im Leben besaßen, war aus Papier, und wie tröstlich, dass alles in Reichweite war, sogar Mr Puris uralte
Shankar’s
Weekly-Zeitschriften voller Karikaturen, die sich über Premierminister Nehru lustig machten und die er sich damals, als er noch davon träumte, Karikaturist zu werden, von einem Freund ausgeliehen hatte.
    Als Ramus Mutter seine glänzenden schwarzen Schuhe auf ihre Knie stellte, um ihm die Schnürsenkel zu binden, einen nach dem anderen, nieste er. Unten in 2 C sprühte sich Mrs Ajwani, die Frau des Immobilienmaklers, großzügig mit Deodorant ein. Als sie mit dem Binden fertig war, spuckte Mrs Puri auf die Schuhe und gab ihnen mit ihrem dicken Zeigefinger den letzten Schliff, ehe sie mit Ramu zum Badezimmer ging, damit er sich bewundern konnte. Der Junge stand vor dem Spiegel, und sofort füllte sich die Toilette mit glucksendem Lärm, als fluchte dort ein eifersüchtiger Teufel.Direkt über ihnen in 4 C vollführte Ibrahim Kudwa seine außergewöhnlichen Salzwasserexerzitien, die dazu angetan sein sollten, seinen schwachen Magen zu kräftigen. Mrs Puri konterte ihrerseits mit Gurgeln; Ramu presste den Kopf an ihren Bauch und gluckste in die Fettfalten seiner Mutter.
    «Bis dann, Wachmann!», rief Mrs Puri stellvertretend für Ramu, als sie das Wohnhaus verließen. Ram Khare, der in seiner
Bhagavad Gita
las, winkte, ohne aufzublicken.
    Ramu mochte die Hitze nicht, also sorgte Mrs Puri dafür, dass er am Rand der Gasse im Schatten der Königskokospalmen ging. Die Palmen waren eine Kuriosität, ein botanisches Experiment des verstorbenen Mr Alvares, dessen Villa mit ihrem Garten voller ungewöhnlicher Bäume und Pflanzen von seinen Erben verkauft worden war, um für die drei Betonblocks mit den Blumennamen Hibiscus, Marigold und White Rose Platz zu machen.
    Mrs Puri kitzelte ihren Sohn am Ohr.
    «Sag Hi-bis-kus, Ramu. Du konntest ganz viele Wörter auf Englisch sagen, weißt du das noch? Hi-bis-kus …?»
    «Ramm-pamm-pamm.»
    «Wo hast du das gelernt, Ramu, dieses Ramm-pamm-pamm?»
    Sie schaute ihren Jungen an. Achtzehn Jahre alt. Er entwickelte sich nicht, dennoch schnappte er immerzu Neues auf – ganz wie die Stadt, in der er lebte.
    Als sie sich der Kirche näherten, fing Ramu an, mit den goldenen Armreifen seiner Mutter zu spielen.
    Der Schulbus wartete vor der Kirche auf sie. Ehe sie Ramu die Stufen hinaufhalf, drückte sie ihm ein selbstgemachtes Schild in die Arme. Es zeigte eine große grüne Hupe, die rot durchgestrichen war, und darunter stand: KEIN LÄRM. Wieder nahm Mrs Puri seinen Klassenkameraden das Versprechen ab, leise zu sein, wie sie das jeden Morgen tat, und dann winkte sie, als der Bus abfuhr, Ramu zu, der nicht zurückwinken konnte (weil er dasKEIN-LÄRM-Schild gegen seine Brust presste), aber mit den Augen sagte, was er seiner Mutter zu sagen hatte.
    Mrs Puri humpelte nach Vishram zurück. Sie umging die große Baugrube vor dem Tor, die von den Arbeitern gerade zugeschaufelt wurde; dabei fiel ihr auf, dass das Schild an der Grube
    LAUFENDE ARBEITEN
WIR BEDAUERN DIE UNANNEHMLICHKEITEN.
STADTVERWALTUNG MUMBAI
    durchgestrichen und umgeschrieben worden war:
    LAUFENDE UNANNEHMLICHKEITEN
WIR BEDAUERN DIE ARBEITEN.
STADTVERWALTUNG MUMBAI
    Das Alter hatte sich in Fettringen um Mrs Puri gelegt, aber ihr Lachen stammte von dem schlanken Mädchen tief in ihr drin, eine fröhliche, hell klingende, aufsteigende Elfenbeintreppe der Heiterkeit. Die Schaufeln verharrten, die Männer schauten sie an.
    «Wer hat diesen Scherz auf das Schild geschrieben?», fragte sie. Sie füllten weiter die Grube auf.
    «Ram Khare! Schau mal von deinem Buch auf. Wer hat
das
denn auf das Schild der Stadtverwaltung geschrieben?»
    «Mr Ibrahim Kudwa», sagte der Wachmann, ohne aufzublicken. «Er hat mich gefragt, was ich von dem Scherz halte, und ich habe gesagt, ich kann kein

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