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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Flusspferds. Zwischen den Steinen zog er leere Flaschen aus dem Wasser und warf sie in einen Sack.
    Er sprach, als wende er sich an den Mann, der den Müll sammelte.
    «Ich habe den Boss gefragt, der Stichtag ist da, was sollen die Leute in Vishram machen? Da sagte er, sie müssen sich selbst helfen. So wie ich selbst auch. Kennst du seine Lebensgeschichte?»
    Ajwani kannte sie nicht. Also erzählte Shanmugham, während der Wind vom Meer hereinwehte, die Geschichte, wie Mr Shah barfuß in Bombay angekommen war.
    Ajwani kniff ein Auge zu und blickte zu Malabar Hill hinüber.
    «So kommt man also zu Reichtum. Das ist eine gute Geschichte. Haben
Sie
ihr eigentlich genügend Aufmerksamkeit geschenkt, Shanmugham?»
    Der Tamile drehte sich um und sah den Makler an. «Was soll das heißen?»
    Ajwani rückte näher. «Ich weiß, dass bei vielen Sanierungsprojekten die linke Hand schlauer als ihr Boss ist. Sie sahnt bei jedem Projekt zehn, fünfzehn Prozent ab. Und von diesem Geld gibt sie den Leuten etwas ab, die in dem Abrissgebäude seine Freunde waren.» Ajwani legte seine Hand mit den Eisen- und Plastikringen auf Shanmughams.
    «Warum sorgen
Sie
nicht dafür, dass das Problem in Vishramgelöst wird? Zeigen Sie mal Initiative, machen Sie’s auf eigene Faust – machen Sie es
heute Nacht.
Ich kann Ihnen im Gegenzug zeigen, wie Sie bei Shanghai ein bisschen was absahnen. Männer wie Sie und ich werden nicht durch Investmentfonds und Festgeldkonten bei der Bank reich, mein Freund.»
    Shanmugham schüttelte die Hand des Maklers ab. Er stand auf und klopfte sich den Staub vom Hosenboden. «Was immer eurem Masterji zustoßen soll, ihr müsst das selbst erledigen. Vor Mitternacht am 3. Oktober. Danach brauchst du mich gar nicht mehr anzurufen.»
    Ajwani fluchte. Er knüllte die Zeitung zusammen und warf sie nach den Wellenbrechern; der Mann, der nach Flaschen suchte, blickte erschrocken auf.
    Masterji stellte fest, dass er wie guter Kohl, reife
chikoos
oder rotbackige Äpfel aus den Vereinigten Staaten nun zu jenen Dingen gehörte, nach denen die Leute auf dem Markt Ausschau hielten.
    Als er seine Runde drehte, um Milch und Brot einzukaufen, folgten ihm Fremde und winkten ihm zu; drei junge Männer stellten sich ihm vor. Sie sagten, sie seien ehemalige Schüler von ihm. Da Costa, Ranade und Savarkar.
    «Ja, natürlich. Ich erinnere mich an euch. Ihr wart alle drei brave Jungs.»
    «Wir haben Sie in der Zeitung gesehen, Masterji. Da stand heute Morgen ein großer Artikel über Sie drin.»
    «Ich habe den Artikel noch nicht gelesen, Jungs. Dieser Reporter hat sich gar nicht mit mir unterhalten. Ich weiß nicht, was er geschrieben hat. Ich schätze mal, dass es ein kurzer Artikel ist, bloß zehn, zwölf Zentimeter.»
    Dennoch hatten diese zehn, zwölf Zentimeter wie ein Fanfarenstoß umgehend ehemalige Schüler herbeigerufen, die er monatelang nicht hatte ausfindig machen können.
    «Wir sind stolz, dass Sie sich von diesem Bauherrn nicht herumschubsenlassen, Sir. Wenn er will, dass Sie ausziehen, muss er Ihnen einen Batzen Geld geben.»
    «Aber ich
will
das Geld nicht, Jungs. Ich erkläre es noch mal. Indien ist eine Republik. Wenn ein Mann in seinem Zuhause wohnen bleiben will, dann hat er die Freiheit, das auch zu tun. Wenn er ausziehen will, dann …»
    Die drei hörten ihm zu; als er geendet hatte, sagte einer von ihnen: «Sie haben im Unterricht immer die alten Römer zitiert, Sir. Der, der über die Sonne Bescheid wusste.»
    «Anaxagoras. Ein Grieche.»
    «Sie sind genauso zäh wie diese Römer, Sir. Sie sind wie der Kerl in dem Film … Maximus, der Gladiator.»
    «Was für ein Film ist das?»
    Das brachte sie zum Lachen.
    «Maximus Masterji!», sagte einer, und alle drei gingen gutgelaunt davon.
    Masterji spürte, wie ihm seine Geschichte, die Interpretation seiner jüngsten Aktionen, die bisher gut in seinem Gewissen verborgen gewesen war, entglitt. Er war zu einem Teil des Marktes geworden; seine Geschichte wurde von den Händlern zum Einwickeln ihrer Waren benutzt. Okra wurde in ihn eingepackt, frisches Brot bedachte ihn mit seinem Aroma.
    «Masterji!» Es war Mary. Sie hatte eine Ausgabe der
Sun
bei sich.
    «Sie stehen in der englischen Zeitung.» Sie grinste und entblößte ihre großen Vorderzähne. «Wir sind alle so stolz auf Sie. Wir haben die Zeitung bei uns am
nala
herumgehen lassen, obwohl wir nicht lesen können. Wenn mein Sohn aus der Schule kommt, muss er uns den Artikel vorlesen.»
    «Ich hab’s auch

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