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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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noch nicht gelesen, Mary», sagte er.
    «Noch nicht gelesen?» Mary war schockiert und bestand darauf, dass er die Zeitung nahm. Sie schlug den Artikel mit dem Foto der Vishram Society auf.
    ALTER MANN IM TURM SAGT NEIN ZU BAUHERRN
    Masterji überflog den Artikel.
    … nur ein Mann, Yogesh Murthy, ein pensionierter Lehrer der nahe gelegenen Schule, hat dem großzügigen Angebot des angesehenen … «Es ist Ausdruck der Freiheit des Individuums, Ja, Nein oder Fahr zur Hölle zu sagen …»
    Murthy stellt sich in diesem Konflikt als den kleinen Mann von der Straße dar und hofft so vielleicht, Sympathien zu erwecken, aber entspricht dieses Bild, das er von sich zeichnet, der Wahrheit? Einer der Bewohner der Genossenschaft, der nicht genannt werden möchte, sagte: «Er ist der größte Egoist, den es gibt. Sein eigener Sohn spricht nicht mehr mit ihm …»
    … wurde von vielen anderen, mit denen dieser Reporter sprach, bestätigt. Laut einem ehemaligen Schüler Mr Murthys, der namentlich nicht genannt werden möchte: «Er hatte keine Geduld, und ihm saß ständig die Hand locker. Hinter seinem Rücken haben wir ihn immer beschimpft. Zu sagen, dass wir ihn in guter Erinnerung haben, wäre die größte …»
    Mary bückte sich, um die Zeitung aufzuheben, sie war Masterji aus der Hand gefallen.
    Als er nach unten sah, erblickte Masterji einen Vogel, der, kleiner als der Handteller eines Mannes, wie ein lebendig gewordenes Stück brauner Zucker aussah und mit den Flügeln schlug.
Das macht die Sache nur noch schlimmer,
dachte er,
meine Nachbarn werden mir dafür die Schuld geben.
    Ein kleiner Junge, der an einem schwarzen Band ein Amulett um den Hals trug, umkreiste in Schieflage Masterji und wedelte kükengleich mit den Händen. Der Zwiebelverkäufer rannte hinter ihm her: «Böser Junge!» Er packte den kleinen Burschen undzwickte ihn, und der gezüchtigte Junge brüllte mit opernhafter Dramatik: «Pa-pa-jee!»
    Sekunden später war er seinem Vater wieder entwischt, dann erneut gepackt worden, und nun kreischte er: «Ma-maa-jee!»
    Damit der Junge nicht weiterschrie, bot ihm Masterji ein Stück Brot an. «Möchtest du ein Stück?»
    Der kleine Kopf nickte lebhaft, der Junge knabberte.
    Masterji bestand darauf, dass Mary den Rest seines frischen Brotes für ihren Sohn mitnahm.
    Seit über dreißig Jahren hatte er an Gandhi Jayanti für die Kinder der Vishram Society kleine Süßigkeiten verteilt.
    Er blieb an dem getünchten Banyanbaum vor Ibrahim Kudwas Internetcafé stehen. Arjun, Kudwas Gehilfe, hatte ein Foto von Mahatma Gandhi in das Loch im Banyan gestellt; der Sadhu, der manchmal dort rastete, und er klatschten in die Hände und sangen Gandhis Lieblingslied.
    Ishwar Allah Tero Naam
Sabko Sanmati de Bhagavan
    Ishwar and Allah are both your names
Give everyone this wisdom, Lord
    Die dreifarbige Nationalflagge war über dem Speed-Tek Internetcafé gehisst worden; Masterji sah sie gespiegelt im getönten Fenster eines vorbeifahrenden Autos, wie ein dunkler Meteor zog sie über Vakola dahin.
    Ashvin Kothari erwachte mitten in der Nacht und schnüffelte.
    «Wonach riecht es hier?»
    Er schaltete seine Nachttischlampe ein. Seine Frau starrte an die Decke.
    «Schlaf wei…»
    «Was ist das denn?»
    «Schlaf wei…»
    «Ihr Frauen habt doch was ausgeheckt.»
    Der Verwalter ging dem Geruch nach, die Treppe hinunter in den dritten Stock.
    Etwas Braunes, das vor Kurzem mit der Hand aufgeschmiert worden war, die Fingerabdrücke waren noch sichtbar, überzog Masterjis Tür. Eine Fliege summte darum herum.
    Der Verwalter schloss die Augen. Er rannte die Treppe zu seiner Wohnung hoch.
    Seine Frau saß auf dem Sofa und wartete auf ihn.
    «Gib Mrs Puri nicht die Schuld», sagte sie. «Sie hat mich gefragt, und ich habe zugestimmt.»
    Der Verwalter setzte sich mit geschlossenen Augen hin. «Oh Krishna, Krishna …»
    «Lass ihn ruhig riechen, was wir von ihm halten, Mr Kothari. So haben wir Frauen es beschlossen.»
    «… Krishna …»
    «Es ist bloß Ramus Kacke. Sei nicht so melodramatisch. Masterji hat doch mit der
Sun
gesprochen. Berühmter Mann. Er will doch, dass Mrs Puri das für den Rest ihres Lebens abwischt. Also soll er wenigstens mal an einem Morgen Ramus Scheiße abwischen und dann mal sehen, wie toll er das findet. Soll er zum Abwischen doch ruhig diese Ausgabe der
Sun
nehmen.»
    Ihr Mann stopfte sich die Finger in die Ohren und intonierte, wie sein Vater es ihn vor Jahren in Nairobi gelehrt hatte, den Namen

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