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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Crawford Market hatte einstecken müssen.
    Es war bereits Abend, als er seine Wohnung wieder verließ.
    Er ging die Treppe hinunter und versuchte, nicht an das Schwarze Brett zu denken. Er lief durch das Tor und auf den Markt, und dort bekam er den zweiten Schock an diesem Tag.
    Seine Geschichte stand in der Zeitung.
    Ramesh Ajwani hatte sich mit dem Rücken so hingestellt, dass seine
Bombay Sun
vor dem Seewind geschützt war. Er las einen Artikel auf Seite 4.
    ALTER MANN IM TURM SAGT NEIN ZU BAUHERRN
    Die Bewohner der Vishram Society, Vakola, befinden sich in einer außergewöhnlichen Lage, denn ein pensionierter Lehrer hat den Kampf sowohl gegen alle anderen Mitglieder seiner Wohnungsgenossenschaft als auch gegen den mächtigen …
    Er schlug die Zeitung zu und legte sie auf den Knien zusammen.
Ganz
schlechte Nachrichten. Aber es war ein schöner Abend, und Ramesh Ajwani befand sich im Herzen der Stadt Bombay. Er holte tief Luft und atmete Masterji aus seinem Körper aus. Dann sah er sich um.
    Marine Drive. Ganz Mumbai hatte sich am Wasser versammelt. Um sich herum erblickte Ajwani Vertreter aller Rassen dieser Stadt, in Burkas gekleidete sunnitische Musliminnen mit ihren sie abschirmenden Männern; Bohrafrauen mit ihren Hauben, die aufeinander aufpassten; zierliche Marathifrauen im Sari und mit Jasmingirlanden im geflochtenen Haar, auf deren zarten Rücken die Knöchel ihrer Wirbelsäulen bei jeder Drehung ihrer lebhaften Körper schimmerten; zwei breitschultrige Sadhus, in fließenden, safrangelben Gewändern, die mit ihren Sanskritgesängen gegen die Wellen ansangen; kreischende Grüppchen von Studenten des Elphinstone College; die Verkäufer von frittierten Kleinigkeiten und gekühltem Wasser mit ihren Baseballkappen.
    Ajwani lächelte.
    Ein sonnenverbrannter und schwitzender Ausländer in ärmellosem T-Shirt und blauer Sporthose, der wie ein großes rosafarbenes Baby aussah, joggte den Gehsteig entlang, so langsam, dass ihm sein indischer Aufpasser im Schritttempo folgen konnte.
    Ajwani sah vier junge Männer in Polyesterhemden, die den Ausländer angafften. Noch vor einer Sekunde hatten sie geplaudert und geprustet und Kommentare zu jedem vorüberfahrendenAuto, zu jedem Mädchen abgegeben. Nun beobachteten sie schweigend den Mann.
    Er begriff.
    Die jungen Männer, die ihr ganzes Leben von besserem Essen und besseren Kleidern geträumt hatten, betrachteten den abstoßenden Schweiß dieses reichen Ausländers, seine abstoßende Nacktheit. Sieht so ein erfolgreiches Leben aus, fragten sie sich – zuerst unfreiwillig unausgesetzt hart zu arbeiten, um dann freiwillig weiterhin Schwerstarbeit zu leisten?
    Die reiche Stadt spielte mit den Zuwanderern ihr übliches Katz-und-Maus-Spiel, ließ sie erst kurz an Erfolg und Geld schnuppern und anschließend den Wert von Erfolg und Geld überdenken.
    Der Makler drehte den Kopf hin und her, um eine Verspannung loszuwerden.
    Ein Mann, schwarz und weiß gekleidet, kam durch die Menge auf ihn zu und setzte sich neben dem Makler auf die Mauer.
    «Schön, Sie hier zu sehen», sagte Ajwani. «Das erste Mal, dass wir uns in der Stadt treffen.»
    «Ich war in der Wohnung in Malabar Hill, als dein Anruf kam. Was machst du hier?», fragte Shanmugham und blickte auf die Zeitung in Ajwanis Schoß.
    Der Makler grinste. «Ich gehe hin und wieder in die Stadt. Geschäfte, wissen Sie.» Er zwinkerte ihm zu. «In der Falkland Road. Vergnügliche Geschäfte.
Mädchen.»
    Shanmugham deutete auf die Zeitung. «Du hast die Story gelesen?»
    Der Makler blätterte. «Jeder in Mumbai hat sie gelesen. Ich habe die Zeitung im Zug aufgeschlagen und sie gleich wieder zugeschlagen, habe mich geschämt. Man möchte doch über anderer Leute Wohnungsgenossenschaften in der
Sun
lesen, aber nicht über seine eigene.»
    Er überflog erneut den Artikel und schlug die Zeitung wieder zu.
    «Man macht sich in aller Öffentlichkeit über den Confidence-Konzern lustig. Wenn ich
Sie
wäre …» Ajwani knackte mit den Knöcheln. «Ich hatte immer gehofft, dass Masterji etwas zustoßen würde. Aber nicht die Spur. Selbst die Anrufe haben aufgehört. Was ist mit Ihrem Boss los?»
    Shanmugham drehte sich und blickte aufs Meer. Marine Drive wird durch eine Reihe dunkler Tetrapoden vor den Wellen des Indischen Ozeans geschützt. Die Wellenbrecher sehen aus wie versteinerte Seesterne und zieren kilometerweit das Ufer. Ein zerlumpter Mann hüpfte von Tetrapode zu Tetrapode wie ein Reiher über die Zähne eines

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