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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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sagte er zu der Frau, die vor wenigen Stunden Kot auf seine Tür geschmiert hatte.
    Sie sagte nichts.
    Der Junge ließ den Stock fallen und ging zu ihm; der alte Lehrer nahm den Sohn seiner Nachbarin in die Arme und flüsterte: «Du darfst nicht mit Mummy streiten, Ramu. Die Frist verstreicht in ein paar Stunden. Dann sind deine Mummy und ich wieder Freunde.»
    Er ließ die beiden allein und ging nach oben in seine Wohnung. Er stellte sich an das Wohnzimmerfenster und hoffte, etwas von den Feierlichkeiten anlässlich Gandhi Jayanti zu sehen. Traditionell wurde dieser Tag in der Wohnungsgenossenschaft groß gefeiert. Ein altes Bild von Mahatma Gandhi, das für solche Gelegenheiten im Schreibtisch des Verwalters verwahrt wurde, wurde auf dem Wachhäuschen der Vishram Society platziert. Ein schwarzer Sony-Kassettenrekorder, der in Ibrahim Kudwas Fenster stand, spielte alte Filmsongs.
    Sein Telefon klingelte. Es war Ms Meenakshi, seine ehemalige Nachbarin. Sie rief aus ihrer neuen Wohnung in Bandra an.
    Die Reaktionen auf die Story über ihn, die ihr Freund geschrieben hatte, seien «fantastisch!», konnte sich Masterji vielleicht einen zweiten Artikel dazu vorstellen? Wollte er einen Blog einrichten? Nein, keinen Blong, einen
Blog.
    «Danke für Ihre Hilfe, Ms Meenakshi, und grüßen Sie Ihren Freund von mir. Aber meine Antwort lautet weiterhin Nein.»
    Er legte auf. Er ging zurück ans Fenster.
    Ein weiterer Lastwagen hatte vor Turm B gehalten; Betten undTische waren aus dem Gebäude getragen worden und wurden jetzt aufgeladen. Die letzten Bewohner zogen aus. Die restlichen Kinder von Turm B spielten beim Lastwagen mit den Kindern von Turm A Kricket.
    Er schloss die Augen und stellte sich vor, das Wohnzimmer wäre wieder voller Nachbarskinder. Wieder schmutzige Kricketschläger und leuchtende junge Gesichter um ihn herum.
    «Heute werden wir sehen, wie sich der Schall mit unterschiedlicher Geschwindigkeit durch feste Körper und Flüssigkeiten fortbewegt» – er streckte seine Beine –, «und zwar hier im Zimmer. Und du, Mohammad Kudwa, pass auf, dass du nicht während des Experiments schwatzt. Nein, ich habe nicht vergessen, was du beim letzten Mal getan hast …»
    Als er aus seinem Nickerchen erwachte, war der Lastwagen fort.
    Die Schutzgitter, die von Turm B abmontiert worden waren, hatten rostige Geisterschatten rund um die Fenster und Balkone hinterlassen, wie Augenbrauen, die in einer schmerzhaften Prozedur gezupft worden waren. Tauben flogen in den Wohnungen aus und ein, Wohnungen, die niemandem mehr gehörten und jetzt nur noch die leeren Hüllen vergangener Träume waren. Ein gelbes Band war rund um das Erdgeschoss des Gebäudes gespannt worden.
    DER CONFIDENCE-KONZERN
(SITZ: PAREL)
HAT DIESES GEBÄUDE IN BESITZ GENOMMEN
ZUM ABRISS BESTIMMT
    Mrs Pinto lag im Bett, hielt Deepas letzten Brief in den Händen und erschuf aus der Beschaffenheit des Papiers das Gesicht und die Stimme ihrer Tochter. Das kakofonische Stimmengewirr der abendlichen Fernsehserien drang aus fast allen Stockwerken inihre Gedanken wie Botschaften ihrer in Amerika lebenden Tochter aus dem Äther.
    Die Wohnungstür öffnete sich scharrend, und sie hörte die langsamen Schritte ihres Mannes.
    «Wo warst du so lange?», rief sie. «Lässt mich hier ganz allein.»
    Ihr Mann setzte sich an den Esstisch, atmete geräuschvoll und schenkte sich aus einem Krug mit gefiltertem Wasser ein Glas ein.
    «Die Frist ist verstrichen, Shelley. Ich habe wirklich geglaubt, er würde schließlich doch Ja sagen, Shelley. Das habe ich wirklich geglaubt.»
    Sie sprach leise. «Was wird der Confidence-Mann jetzt mit ihm machen, Mr Pinto?»
    «Alles ist möglich. Das sind keine Christen. Diese Bauherren.»
    «Dann musst du Masterji retten, Mr Pinto. Das schuldest du ihm.»
    «Was meinst du damit?»
    «Du hast ihn doch so oft betrogen, Mr Pinto. Du schuldest es ihm.»
    «Shelley Pinto.» Ihr Mann setzte sich auf seine Bettseite. «Shelley Pinto.»
    «Im Streitvermeidungsbuch. Als du Buchhalter bei der Britannia Biscuit Company warst, hast du die Leute dort betrogen. Ich glaube, du hast auch Masterji betrogen.»
    «Das ist eine Lüge, Shelley. Wie kannst du es wagen, so mit deinem Mann zu sprechen.»
    «Ich bin seit 36 Jahren deine Frau. Als du neulich mit Masterji im Lucky Biryani in Bandra warst, kamst du an diesem Abend sehr beschwingt nach Hause, und ich dachte,
er hat Masterji bestimmt wieder beschummelt.
Hast du im Streitvermeidungsbuch nicht auch die Zahlen

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