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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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auf seine. «Geht da jemand die Treppe rauf?», flüsterte sie.
    Der Verwalter spähte das Treppenhaus hinunter. «Nur der Hund.»
    Er wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn.
    «Warum fertigen
Sie
kein Duplikat von Masterjis Schlüssel an?» Mrs Pinto legte dem Verwalter die Hand auf die Schulter. «Das wäre nicht gegen die Vorschriften. Der Schlüssel bleibt immer in Ihrem Gewahrsam. Geben Sie Ajwani einfach nur das Duplikat.»
    «Das könnte ich machen.» Kothari nickte. «Das wäre im Rahmen der Vorschriften.»
    «Mein Mann wird Sie begleiten, wenn Sie das wollen.»
    «Nein, Mrs Pinto. Das liegt in meiner Verantwortung. Ich fahre nach Mahim, da kennt mich niemand.»
    «Bandra ist weit genug weg.»
    «Sie haben recht.» Er lächelte. «Die ganzen Jahre über haben wir nie so offen miteinander geredet, Mrs Pinto.»
    «Im Parlament schon. Aber nicht so. Ich habe Sie immer schon bewundert. Ich habe nie geglaubt, dass Sie der Genossenschaft Geld gestohlen haben.
Ich
habe das nie geglaubt.»
    «Danke, Mrs Pinto.»
    Sie stand auf, die Hand an der Wand.
    «Es ist zu seinem eigenen Besten, denken Sie daran. Dieser Confidence-Shah ist kein Christenmensch.»
    Kothari trat den Hund, damit er für Mrs Pinto Platz machte, und sie ging weiter die Treppe hinunter.
    In der untersten Schreibtischschublade bewahrte der Verwalter der Vishram Society eine Schachtel mit Ersatzschlüsseln für alle Wohnungen auf. Im Notfall dem rechtmäßigen Besitzer auszuleihen; kein Schlüssel darf länger als 24 Stunden verliehen werden.
    Ein paar Finger wühlten in den Schlüsseln herum. Einer wurde herausgefischt. Dann schloss der Mann, der den Schlüssel gestohlen hatte, die Tür des Verwalterbüros hinter sich.
    Aus der Nähe des schwarzen Kreuzes knurrte ihn etwas an; der streunende Hund schaute von seiner Schüssel
channa
auf.
    Kothari kaufte auf dem Markt ein beidseitig gebuttertes Sandwich; er aß es in der Autorikscha, die ihn zum Bahnhof brachte, und leckte sich beim Aussteigen die Finger.
    Satt döste er im Regionalzug Richtung Churchgate vor sich hin, bis ihn der Gestank der großen schwarzen Kloake weckte, die vor Bandra lag.
    Er versicherte sich, dass sein zurechtgekämmtes Haar noch die Glatze bedeckte, und kletterte auf den Bahnsteig. Aus einem dunklen Blazer schoss ihm eine rosa Hand entgegen. «Ticketticket.»
    Er reichte dem Fahrkartenkontrolleur seine Erste-Klasse-Monatskarte; während der Mann die Gültigkeit überprüfte, rezitierte Kothari:
    «Tut, wie Euch beliebt, böser König,
Ich weiß Gut von Böse zu unterscheiden,
Und werde dir niemals folgen,
sprach der tugendsame Dämon Maricha,
als ihm der Herrscher von …»
    Das Gefühl, das ihn nun durchdrang, hatte der Verwalter bisher nur ein einziges Mal gehabt, als er meinte, er käme ins Gefängnis, weil er vergessen hatte, seine Vorsteuer zu bezahlen.
    Die Strahlen der Abendsonne fielen, hie und da von Bäumen und Ladenfronten abgeschnitten, vor den Füßen des Verwalters auf den Boden wie Klauenspuren auf einer Baumrinde. Er lief durch eine der Gassen neben dem Bandra-Bahnhof. Auf beiden Seiten erblickte er Bananen, Blumenkohl und Äpfel, die vom goldenen Licht gebräunt und gleichsam aufgebläht wirkten. An den Zweigen des Banyanbaums in der Nähe baumelten riesige gelbe und weiße Pappschlüssel wie fremdartige Früchte. Jeder trug die Aufschrift
    RAJU SCHLÜSSELMACHER
HANDY: 9811799289
    Darunter saß der Schlüsselmacher auf einem grauen Tuch, und seine Werkzeuge und Schlüssel waren vor ihm ausgebreitet. Er arbeitete mit einem Messer, schnitt ein Stück Eisen zu einem Schlüssel zurecht, wobei er ein Auge zukniff, um den neuen Schlüssel mit einem anderen zu vergleichen, den er aus seiner Brusttasche zog.
    «Kannst du mir ein Duplikat machen?», fragte der Verwalter. «Ist für die Wohnung meiner Schwiegermutter – in Goregaon.»
    Der Schlüsselmacher gab ihm ein Zeichen, etwas zur Seite zu rücken, sodass sein Schatten ihm nicht die Sicht versperrte.
    Kothari spürte, wie der Schlüssel in seiner Hand warm wurde.
    «Hatte ein bisschen Zeit an Gandhi Jayanti, dachte, ich erledige das schnell … Fahr zur Wohnung meiner Schwiegermutter in Goregaon und schau selbst. Das Haus liegt ganz zentral. Beim Topiwala-Kino.»
    «Hören Sie mal», sagte der Schlüsselmacher, «ich hab noch sechs andere Bestellungen, ehe Sie drankommen.»
    Beinahe zwei Stunden später öffnete Ajwani seine Tür und entdeckte den Verwalter, der mit einem Taschentuch dastand, in das

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