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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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bloß deinem Vater sagen, was er tun soll.
    Er betrachtete den Schutzhelm.
    Jetzt sah er wieder, wie er über seinen Tresen quoll: der schwarze Morast. Seine Nachbarn standen hinter ihm und brüllten ihn an, er solle da reinfassen.
    Klein-Mariam weinte. Ihr Vater hatte mit der Faust auf den Tresen gehauen und gebrüllt: «Nein!»
    Er schloss sein Internetcafé, gab Arjun noch Anweisung, dieTür doppelt abzusperren, und ging mit seiner Tochter nach Hause. An diesem Abend würde seiner Genossenschaft etwas Schlimmes zustoßen: Es sei denn, er verhinderte es.
    Nachdem er um 14 Uhr in seinem Büro zu Mittag gegessen hatte, hatte Ajwani den Zug in die Stadt genommen; er hatte seine
Times of India
mitgenommen, um auf der Fahrt die Immobilienanzeigen zu studieren.
    Er stieg an der Charni Road aus. Grant Road wäre zwar näher gewesen, aber er wollte das Meer sehen, bevor er zu den Mädchen ging.
    Er überquerte den Marine Drive und stellte sich auf die Mauer am Meer. Bis auf einen Lumpensammler unten bei den Tetrapoden war er allein.
    Sein ganzes Leben lang hatte er von etwas Großem geträumt,
Kala Paani
auf dem Weg in ein neues Land zu überqueren. Wie Vasco da Gama. Wie Kolumbus.
    «Nur ein kleiner Schubs», sagte er laut.
    Er übte, einen imaginären Körper von der Mauer am Meer auf die Felsen zu stoßen, und dann übte er es noch mal.
    Am Chowpatty Beach überquerte er die Straße und trank im Café Ideal einen eiskalten Krug Bier vom Fass. Als er fertig war, sah er bestürzt, dass über die ganze Immobilienseite der
Times of India
fett die Worte geschrieben standen: «Nur ein kleiner Schubs». Er zerriss die Zeitung in kleine Schnipsel und trug dem Kellner auf, dafür zu sorgen, dass alles im Mülleimer landete.
    Draußen hielt er ein Taxi an und sagte: «Falkland Road.»
    Das Licht vom Meer und aus dem offenen Himmel überflutete den Marine Drive; aber einmal den Gang wechseln, dreimal abbiegen, und der Seewind ist weg, der Himmel zieht sich zusammen, und alte Häuser verdunkeln die Aussicht. Wenn man tief genug in dieses andere Bombay vordringt, dann gelangt man zur Falkland Road.
    Ajwani gab dem Taxifahrer ein Zeichen zu halten und zahlte den Fahrpreis mit drei Zehnrupienscheinen aus einem Bündel Scheine, das er aus der Tasche gezogen hatte.
    «Ich habe überhaupt kein Wechselgeld», sagte der Fahrer.
    Ajwani meinte zu ihm, das wäre nicht so wichtig. Ein- und Zweirupienmünzen würden ab dem nächsten Tag keine Rolle mehr spielen.
    Er steckte das Bündel Scheine in die Tasche zurück, tätschelte es und fühlte sich viel besser. Wenn ein Mann älter wurde, machte Geld die Dinge so viel einfacher.
    Es gab nette Hotels am Bahnhof Santa Cruz und an der Schnellstraße, aber es bekäme einem Mann nicht so gut, wenn er in einer Gegend, in der man ihn vielleicht erkennen könnte, nach seinem Vergnügen suchte. Früher, also vor fünf, sechs Jahren, war Ajwani nach Juhu gefahren und hatte ein-, zweimal im Monat eine hübsche junge Schauspielerin besucht. Dann stiegen in Juhu die Immobilienpreise. Selbst diese Rattenlöcher wurden für die Schauspielerin und andere ähnlich nette Mädchen zu teuer. Sie packten zusammen und zogen nach Norden, nach Versova, Oshiwara, Lokhandwala. Ajwani musste immer länger fahren. Dann stiegen auch im Norden die Immobilienpreise. Die Mädchen zogen nach Malad, zu weit weg für ihn. Und es war kein Ende abzusehen. Früher oder später würde ein Mann für einen Blowjob bis nach Pune fahren müssen. Die Immobilienspekulation richtete Bombay zugrunde.
    Gott sei Dank,
dachte Ajwani,
gibt es immer noch die Falkland Road.
    Auf beiden Straßenseiten standen ergrauende, mehrstöckige Gebäude, die alle kurz vor dem Einsturz standen. Einige der Fenster waren eingeschlagen worden, und in den offenen Löchern saßen Männer in
banians
und sahen hinunter. Ajwani kam an Läden für Dentalbedarf vorbei, die Gipsgebisse ausstellten, an schummrigen Lokalen, die ebenso fetttriefend wie das
biryani
waren,das sie auftischten, und an Kinos mit grellen Plakaten (Collagen aus gewalttätiger Action und mitfühlenden Dekolletés), vor denen junge männliche Zuwanderer Schlange standen, die unter der Hitze und den Schreien des Kinopersonals dahinwelkten. Dreck hatte sich zwischen den Häusern angesammelt und quoll auf die Straße. Als hätte man sie als Kontrastprogramm bestellt, parkte neben dem Müll eine Reihe der silbernen Pferdekutschen in Schwanenform, in denen man Touristen auf Vergnügungstouren rund um

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