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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Gewöhnlich begleiteten Worte das Versprengen des Wassers. Die Menschenbenutzten dabei heilige Sprachen. Sanskrit. Arabisch. Latein. Aber er beherrschte keine von ihnen. «Ich vermisse dich, meine Ehefrau», sagte er.
    Er versprengte noch mehr Wasser.
    «Vergib mir, dass ich kein besserer Ehemann war.»
    Er spritzte das restliche Wasser ins Licht.
    «Vergib mir, dass ich dich nicht vor den Dingen beschützt habe, vor denen ich dich hätte beschützen sollen.»
    Ein Wassertropfen war auf Masterjis Fingerspitze gefallen; er schimmerte im Morgenlicht wie eine Perle.
    Der schillernde Tropfen sprach zu ihm und sagte:
Ich bin das, woraus du gemacht bist. Und ich bin das, was du am Ende sein wirst.
Dazwischen lagen jene verwirrenden Dinge, die ein Mann zu tun hatte. Heiraten. Unterrichten. Kinder haben. Und dann wären seine Pflichten erfüllt, und er würde wieder zu Wassertropfen werden, befreit vom Leben und seinem Regenbogen der Beschränkungen. Der Tod sagte zu Masterji,
fürchte mich nicht. Purnima, deine Frau, ist schöner denn je, sie ist ein schimmernder Wassertropfen. Und Sandhya, deine Tochter, ist an ihrer Seite.
    Die Kletterpflanze aus der Wohnung des Verwalters war wieder bis zu Masterjis Fenster heruntergewachsen; die blinde, emporragende Spitze, durchscheinend im Morgenlicht, die offenbar nach ihm suchte wie Sandhyas Babyfinger, als er sich ihr das erste Mal genähert hatte.
    Er fütterte sie mit dem Wassertropfen.
    Gewöhnlich tat man bei Gedenkfeiern anderen etwas Gutes. Als er in Suratkal das Abschiedsritual für seinen Vater abgehalten hatte, hatten sie für die Krähen dampfende Reisbällchen auf Bananenblättern dagelassen.
    Er ging zum Grundstück hinunter, wo Mrs Puri in die Hände klatschte, um Ramu den Takt anzugeben; mit einem Schwert aus Goldfolie in der Hand tat der Junge, dessen Wangen rot geschminkt waren, vier gemessene Schritte, schwang sein Schwertund verbeugte sich vor einem imaginären Publikum. Das jährliche Festspiel, fiel Masterji wieder ein.
    «Viel Glück, Ramu», sagte er.
    Ramu stieß, trotz des strengen Blicks seiner Mutter, mit seinem goldenen Schwert nach Masterji.
    Ajwani wachte auf und merkte, dass er gefangen war.
    Zwei Samurai hielten seine Arme umklammert. «Taekwondo time, Papa.» Der kleine Raghav hielt seinem Vater die Faust direkt vor die Nase. «Du hast verschlafen.»
    Die Jungen, in blendend weißen Anzügen, die mit koreanischen Symbolen und rechts oben mit einer kleinen indischen Flagge verziert waren, stellten sich vor dem Esstisch in Kampfposition. Obwohl er keinen Unterricht in Kampfsport gehabt hatte, begriff Ajwani die Grundprinzipien von Kraft und Schnelligkeit ganz gut.
    «Hey-a! Hey-a!»
    Die beiden verteilten Fußtritte, und Vater sah gähnend vom Sofa aus zu.
    «Härter. Viel härter.»
    Dann setzten sich die drei an den grünen Esstisch, um ihren Frühstückstoast zu essen.
    Rajeev und Raghav, nun in weißen Schuluniformen mit blauen Krawatten, stellten sich an, um den Löffel Hai-Lebertran entgegenzunehmen, den ihr Vater für sie bereithielt. Er benetzte seine Finger unter dem Küchenwasserhahn, wischte den Jungen den Lebertran von den Lippen und spritzte ihnen Wasser ins Gesicht, um sie zum Lachen zu bringen.
    «Okay. Ab in die Schule.»
    Ajwanis Frau, eine wuchtige, dunkelhäutige Frau, briet in der Küche etwas in Sonnenblumenöl. «Bringst du heute Abend Basmatireis mit?», rief sie.
    «Wenn ich dran denke!», rief er zurück und klatschte sich Babypudervon Johnson & Johnson in die Achselhöhlen, ehe er in einen Safarianzug schlüpfte und die Tür hinter sich schloss.
    Auf halbem Weg die Treppe hinunter blieb er stehen, lehnte sich an das Geländer und machte ein paar Liegestütze.
    Irgendwann nach 10 Uhr kehrte Masterji mit einer Schachtel Süßigkeiten vom Markt zurück.
    Er ging am Tor der Vishram Society vorbei zum tamilischen Tempel. Er hatte ihn an jenem Abend wiederentdeckt, an dem er durch den Slum gegangen war, um sich Mr Shahs neue Gebäude anzusehen.
    Das Allerheiligste des Tempels war verschlossen; zwei alte Frauen im Sari saßen auf seiner quadratischen Veranda, in deren Mitte ein Baum wuchs.
    Er stellte die Schachtel Süßigkeiten vor die alten Frauen. «Bitte gedenken Sie meiner verstorbenen Frau, Purnima, die vor einem Jahr gestorben ist.»
    Die alten Frauen rissen die Plastikverpackung auf und aßen die Süßigkeiten. Er setzte sich zu ihnen auf die Veranda. Durch die Gittertür mit dem glänzenden Vorhängeschloss konnte er die

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