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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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das Gateway of India nahm. Weder die Pferde noch die Fahrer waren zu sehen, aber Frauen lehnten an den Kutschen und sogen herausfordernd die Luft durch die Zähne ein.
    Er lächelte zurück.
    So früh am Tag würde es in Kamathipura ziemlich ruhig sein, der zweite Stock des verschwiegenen Hauses hinter dem Taj-Hotel wäre geschlossen und das Congress House würde männliche Besucher einlassen oder auch nicht. Aber die Falkland Road hatte immer geöffnet. Die Frauen warteten in leuchtend blauen Türrahmen, hockten auf Türschwellen und lösten sich von den silbernen Kutschen, um Ajwani spöttische Bemerkungen zuzuwerfen.
    Ein Mädchen im grünen Unterrock hockte vornübergebeugt in einer hellblauen Tür, und Zigarettenrauch stieg an ihrem Gesicht empor, als hätte sie Koteletten.
    Er wollte sie gerade ansprechen, als er ein metallisches Geräusch hörte und hinter der Prostituierten Lichtblitze sah.
    Ajwani lächelte dem warmen, grünen Unterrock zu, um anzudeuten, dass er zurückkommen würde, und ging ein paar Schritte in die Gasse hinter ihrem Bordell.
    Das Gässchen war, wie die anderen im Rotlichtviertel, von metallischem Hämmern und dem Zischen weißblauer Flammen aus Schneidbrennern erfüllt. In einer für diese Stadt typischen Sinnigkeit ist der metallurgische Bezirk ebenfalls in die labyrinthischen Gassen um die Falkland Road gequetscht – das Gehämmervon Stahl und Sex sind unter derselben Postleitzahl anzutreffen. Ajwani hatte schon viele Male im Vorübergehen die Werkstätten gesehen, in denen Metall zerspant wurde.
    Heute ging er zwischen den Werkstätten, in denen es blitzte und zischte, hindurch wie ein Mann, der in ein fremdes Land gestolpert ist. Vor einer der Werkstätten hob einer der Arbeiter seinen rostigen Gesichtsschutz und starrte ihn an.
    Ajwani wich seinem Blick aus. Er ging weiter die Gasse entlang. Glänzende Bänder führten zu einer grünen Moschee mit einer zwiebelförmigen Kuppel am Ende der Gasse. Beißender Industriegeruch. Hinter einem Riss in einer blauen Tür hockte ein Mann mit Schutzbrille auf dem Boden und flämmte eine Stange ab. Vor einem anderen Laden hatte man metallene Fenstergitter gestapelt. Ein Arbeiter stand neben den Gittern und klopfte mit den Fingern darauf, ein Kunde im grauen Anzug hörte ihm zu.
    «… ein Blumenmuster im Eisengitter ist üblich, ist kostenlos. Aber das, was Sie da wollen, Sir, zwei Blumen, die sich umschlingen, das ist ’ne komplizierte Sache … Ich werde pro Kilo zwei Rupien mehr berechnen …»
    «Oh, das ist zu viel», sagte der Kunde. «Zu viel, zu viel.»
    Plötzlich drehten sich der Arbeiter und der Kunde um und fixierten Ajwani.
    Er ging bis zum Ende der Gasse. Direkt vor der grünen Moschee sah er einen Büffel, der an einen Baum gebunden war; der Kopf und die Hörner des unruhigen Tieres tauchten aus dem dunklen Schatten auf und verschwanden wieder darin.
    In dem, was er für die Moscheemauer gehalten hatte, öffnete sich eine Tür. Ein Stück Wellblechdach tauchte darin auf. Zwei Männer mit nacktem Oberkörper trugen das Wellblech an Ajwani vorbei, und er sah, wie sich sein Schatten auf den Falten des Daches kräuselte.
    Er starrte auf seinen verblassenden Schatten. Er schwankte.
    «Es ist nicht bloß ein kleiner Schubs», sagte er laut und drehte sich um, um sicherzugehen, dass der Büffel ihn nicht gehört hatte.
    Ajwani schlich an den Werkstätten vorbei zur Hauptstraße zurück.
    Als er die Falkland Road verließ, sogen die Prostituierten, die an den pferdelosen Silberkutschen lehnten, wieder herausfordernd die Luft durch die Zähne ein. Der Makler, der in den Augen noch das Blitzen der Schweißbrenner hatte und in den Nebenhöhlen lauter Qualm, taumelte zurück zum Marine Drive.
    Er hörte immer noch die Hammerschläge aus den weit hinter ihm liegenden Werkstätten, seine Nase brannte immer noch, als wäre die Realität glühend rot in sie eingedrungen. Er blieb stehen, um Atem zu schöpfen. Vor ihm, durch die Perspektive verkürzt, stürzte die Gebäudemasse wie ein einziger Blitz aus Stein und Mauerwerk auf Chowpatty Beach zu. Dieser Sturz in die Topografie der Stadt hatte in Ajwanis Kopf eine entsprechende Auswirkung; alle anderen Gedanken fielen von ihm ab, legten eine einsame, gewaltige Wahrheit frei.
    … es ist nicht ‹einfach nur ein kleiner Schubs›. Es bedeutet, einen Mann umzubringen.
    Ein Gummiball traf das Dämonengesicht, das auf die Mauer des tamilischen Tempels gemalt war.
    Masterji öffnete die Augen und

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