Letzter Mann im Turm - Roman
zum Markt, um für das Abendessen frisches Gemüse zu kaufen.
Gebogene grüne Stauden voll gelber Bananen hingen von den Decken der Lebensmittelläden, kreischend bunte Plastiktüten mit chinesischen Instantnudeln und Malzpulver funkelten neben den Bananen wie neureiche Verwandte. Zwei katholische Priester, von Kopf bis Fuß in weißen Soutanen, standen vor dem Ladentisch eines Lebensmittelgeschäfts und wurden vom Besitzer über die Pläne der Reliance Company für Prepaid-Handys aufgeklärt. Mrs Puri hörte zu. Reliance? Um Gottes willen. Vodafone hatte hier viel besseren Empfang. Sie war drauf und dran, die beiden heiligen Männer vor dem Betrüger zu retten, als ein «Guten Abend, Sangeeta-ji» an ihr Ohr drang.
Ibrahim Kudwa (4 C) war winkend auf seiner Honda Activa an ihr vorbeigefahren. Seine Frau hatte die Arme um seine Taille geschlungen, und der zehnjährige Sohn Mohammad saß in seinem Kampfsportanzug (GOJU-RU-TAEKWANDO) vor ihm. In seiner unförmigen, aufgeblähten weißen Kurta sah Kudwa wie ein gebleichtes Känguru aus, das seine gesamte Familie im Beutel mit sich führte.
Mrs Puri fühlte sich leichter. Sie beneidete Kudwa um sein glückliches Familienleben – so, wie er heimlich Ajwani um denBesitz des Toyota Qualis beneidete, wie sie wusste, so, wie Ajwani wahrscheinlich jemand anderen um etwas beneidete, und diese Kette des Neides verband sie alle, machte jedem klar, was ihm im Leben fehlte, bot aber auch den Trost, dass das Glück nebenan wohnte, bei einem Nachbarn, einem Mitglied desselben Wohnhauses.
Sie kehrte mit
brinjals
und Roter Bete nach Vishram zurück.
Der Verwalter und Ajwani standen mit gefalteten Händen am schwarzen Kreuz. Ein Mann mit weißem Hemd und schwarzer Hose – er war einer der beiden, die kürzlich all die Fragen gestellt hatten – tippte hinter ihnen auf die Tastatur seines Handys.
«Mrs Puri.» Die Stimme des Verwalters zitterte. «Schnell. Gehen Sie in Ihre Wohnung. Ihr Mann möchte es Ihnen selbst mitteilen.»
Ihr Herz zog sich zusammen. Gott, was hast du meiner Familie diesmal angetan? Welcher Schicksalsschlag hatte sie jetzt getroffen?
Mrs Rego versperrte den Eingang des Wohnhauses.
«Mrs Puri. Eines muss Ihnen klar sein: Sie werden das Geld nie erhalten.»
«Lassen Sie mich vorbei.» Mrs Puri schob das Schlachtschiff beiseite. Sie rannte die Treppe zu ihrem Ramu hinauf. Die Wohnungstür stand offen. Ihr Mann und ihr Sohn saßen gemeinsam im Dunkeln.
«Wir alle … wir alle … alle Bewohner dieses Hauses», sagte Mr Puri, als sie das Licht anschaltete.
«Ja?», flüsterte sie. Sie strich besänftigend mit der Hand über Ramus Stirn. «Ja?»
«Wir haben unsere Steuern gezahlt, und wir haben einander geholfen, und wir sind in den Siddhi-Vinayak-Tempel und in die Mount-Mary-Kirche und in die Kirche in Mahin gegangen …»
«Ja?»
«… und nun sind wir, alle Bewohner dieses Hauses, allesamt gute Menschen, von der Hand Gottes gesegnet worden.»
Und dann erzählte ihr Mann, warum der Verwalter, Ajwani und der fremde Mann am schwarzen Kreuz standen und warum das Schlachtschiff versucht hatte, den Eingang zu blockieren.
Ramm-pamm-pamm. Ramu, der die Aufregung spürte, marschierte um seine Eltern herum. Ramm-pamm-pamm-pamm-pamm-pamm-pamm.
Mr Puri sah seine Frau an. «Und? Was hättest du davon?»
«Wenn es wirklich wahr ist», sagte sie, «dann ist dies das erste Wunder meines Lebens.»
Während der letzten drei Jahrzehnte waren die vier Bewohner von 3 A (Murthy) und 2 A (Pinto) vier Menschen mit den gleichen Schlafgewohnheiten gewesen. Wenn eines der Paare früh zu Bett ging, schaltete das andere seinen Fernseher aus und ging zu Bett. Wenn ein Paar sich entschied, mit Lata Mangeshkar bis spät in die Nacht mitzuzwitschern, zwitscherte auch das andere bis spät in die Nacht mit Lata Mangeshkar mit.
In dieser Nacht litt Mr Pinto unter Schlaflosigkeit. Er starrte an die Decke. Seit dreißig Jahren war diese Decke, in deren Mitte ein Kronleuchter hing, gleichsam ein funkelnder Nachrichtenquell, ein Indikator für die geistige Verfassung seines Nachbarn und Freundes gewesen.
«Warum marschiert er die ganze Zeit herum, Shelley? Es ist nach 22 Uhr.»
Mrs Pinto lag neben ihm. Weil sie beinahe blind war, begleitete sie ihren Mann und Masterji nicht bei ihren biryani-Ausflügen.
«Kein Grund zur Sorge», sagte sie.
«Bist du sicher, dass er Diabetes hat? Er ist doch noch nicht beim Arzt gewesen.»
Mrs Pinto, die den Kronleuchter nicht sehen konnte,
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