Letzter Mann im Turm - Roman
Masterji.»
«Unsinn. Ich habe meinen Darm vollständig im Griff. Ich hatte schon immer eine gute Verdauung.»
Mr Pinto blickte auf seine Schuhe und sagte: «Diabetes.»
«Mr Pinto. Ich trinke nicht viel, ich esse nicht viel. Ich habe nicht einmal einen Fernseher. Weshalb sollte ausgerechnet ich Diabetes kriegen?»
«Sie verlieren die Beherrschung. Vor Kurzem nachts mit dem Freund der modernen jungen Frau. Alle im Wohnhaus reden darüber. Und Sie gehen die ganze Zeit auf die Toilette. Wir können es unten hören.»
«Wie können Sie es wagen, Mr Pinto! Mir nachzuspionieren. Ich gehe auf die Toilette, wann immer ich will. Das ist ein freies Land.»
Schweigend gingen sie nach Vishram zurück. Ram Khare kam auf sie zugerannt. «Haben Sie die Neuigkeiten gehört, Sirs?»
«Welche Neuigkeiten?», fragte Mr Pinto.
«Der Verwalter ist gerade in Ajwanis Büro, gehen Sie rein und hören Sie selbst», sagte Khare. «Da ist Gold für Sie alle drin! Gold!»
«Er hat wieder getrunken», flüsterte Mr Pinto. Sie ließen den brabbelnden Wachmann stehen und gingen die Treppe hoch.
Der alte Buchhalter sagte: «Kommen Sie zu uns, wir trinken einen Absacker, Masterji.»
«Heute Abend nicht, Mr Pinto.»
«Wir trinken den Amaretto. Das Geschenk von Tony. Lassen Sie uns einen Absacker trinken. Jeder einen.»
Mr Pinto hatte einen wunderbaren Likör, den sein Sohn Tony bei seinem letzten Besuch aus Amerika mitgebracht hatte und der nur an besonderen Abenden getrunken wurde. Masterji begriff, dass dies eine Art Entschuldigung war, und berührte seinen Freund an der Schulter, ehe er zu seiner eigenen Wohnung emporstieg.
Vakola bei Nacht. Das rote Neonkreuz von St. Antony warf seinen Lichtschein auf die Hauptstraße. Verkäufer speisten die Flutwellen müder Menschen, die vom Bahnhof herüberschwappten, mit
paani-puri bhelpuri
und von Zuckersirup triefenden
gulab jamuns.
Plastikarmbanduhren, Metallschlösser, Kinderspielzeug, Sandalen und T-Shirts unterbrachen das Angebot der Speisen.
Auf der anderen Straßenseite brannte bei Renaissance Immobilien Licht.
Vakola war kein Vorort, in dem ein Immobilienmakler reich werden konnte. Mindestens vier Büros hatten allein an der Hauptstraße ihren Sitz. Renaissance war ansprechend, geräumig, hell, auf der Glastür spielte Krishna in den Zaubergärten von Brindavan Flöte.
Drinnen blickte Ramesh Ajwani (2 C), der hinter seinem Stahlschreibtisch saß, von den Immobilienseiten der
Times of India
auf. Mani, sein Gehilfe, hatte einer jungen Frau die Glastür geöffnet.
Ajwani nahm die Halbbrille ab und bedeutete der Besucherin, sich zu setzen.
Wie nett, dachte er, in diesen modernen Zeiten eine junge Frau anzutreffen, die einen Sari zu tragen versteht. Ein strahlendes Himmelblau, vielleicht ein wenig zu tief ausgeschnitten.
Ihr Englisch war besser als seines, registrierte er freudig.
Eine Wohnung mit drei Zimmern für sie selbst, eine berufstätige Frau, unverheiratet, deren Eltern bei ihr lebten. Einjähriger Mietvertrag mit der Möglichkeit auf Verlängerung. In der Größenordnung 15.000 bis 20.000 Rupien.
Wie üblich schlug Ajwani noch 10 Prozent auf den Höchstpreis auf, und ihm fielen sofort einige Wohnungen ein, die er ihr zeigen konnte. Er legte die Hände auf den Tisch und beugte sich zu der Frau vor.
«Sie scheinen zu glauben, dass ich Makler bin, Miss?»
Ajwanis dunkelhäutiges, pockennarbiges Gesicht war für seineVolksgruppe so ungewöhnlich, dass seine Klienten ihn regelmäßig für einen Südinder hielten – eine feine Sache, fand er, denn die Südinder sind, im Gegensatz zu den Sindhis, als ehrliche Leute bekannt. Er war stämmig, specknackig, trug Safarianzüge und roch nach Babypuder von Johnson & Johnson.
Die Frau im himmelblauen Sari sammelte sich. «Ja», sagte sie, «sind Sie denn keiner?»
«Nein.»
Ajwanis obere Wangenhälften waren von kiemenartigen Falten durchzogen, die seinem Grinsen etwas Bedrohliches verliehen.
«Ich werde nicht das tun, was jeder andere Makler in dieser Stadt machen würde. Ich werde Sie nicht belügen. Ich werde nicht vorgeben, dass ein Gebäude ‹praktisch neu› ist, wenn es vierzig Jahre auf dem Buckel hat. Ich werde nicht die Eigenarten der Nachbarn, Lecks im Dach oder Feuchtigkeit in den Wänden unter den Teppich kehren. Ich glaube an präzise Informationen – für mich und für meine Kunden. Schauen Sie mal auf diese Wand. Dort hängen meine drei Götter.»
Die junge Frau registrierte jetzt ein lebensgroßes, gerahmtes
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