Letzter Mann im Turm - Roman
Shahs Dachterrasse im Umlauf. Auch alle anderen Gäste waren dort, saßen in Anzügen, Seidenhemden, ärmellosen Saris und
sherwanis
an Ebenholztischen, die von dicken Kerzen beleuchtet wurden.
Kothari, der allein, gegen die Balkonbrüstung gelehnt, dastand, winkte dem Kellner, damit dieser einen Ausflug zu ihm unternahm. Er spürte, wie sein Kopf unter dem sorgfältig über die Glatze gekämmten Haar feucht wurde –
sehr scharf,
dieser Hammel. Er rieb sich die Hände und drehte sich um, sog die kühle Luft ein, die von der Stadt kam, sah auf das Panorama der beleuchteten Wohnhäuser, die sich bis zur entfernten Kuppel der Haji-Ali-Moschee erstreckten.
«Paneer,
Sir?»
Ein Kellner trug ein Silbertablett mit Käsewürfeln herbei, in denen wahrscheinlich Gurkenstückchen steckten. Kothari nahm sich drei Würfel und sagte: «Mein Junge, würdest du diesen Mann mit dem Hammel noch mal herschicken?»
Mit jedem weiteren Leckerbissen dachte Kothari weniger an sein Hemd, 70 % Polyester, 30 % Baumwolle, das er in der Nähe des Andheri-Bahnhofs für 210 Rupien erstanden hatte, und auch nicht an sein
banian,
die Sechserpackung zu 35 Rupien, das darunter wie ein Röntgenbild leuchtete.
Ach, diese prächtige Buffettafel, die mit Kebabs beladene Silbertablettsatelliten in die Umlaufbahn schickte.
In der Tischmitte erblickte er die Fata Morgana einer riesenhaften Flasche Johnnie Walker Black Label, die mit der Öffnung nach unten von einem Metallgestell hing und auf deren Plastikausguss ein Diener mit Fliege den Finger gelegt hatte.
«Mr Kothari! Da sind Sie!» Der Bauherr winkte ihm vom Tisch aus zu.
Bald darauf stellte der Verwalter fest, dass die verklärende Wirkungdes Johnnie Walker auch auf ihn abfärbte; Shah stellte ihn jedem vor, der für einen Drink vorbeikam: «Das ist Mr Kothari.»
Jeder der Gäste schien eine Baufirma zu leiten. Einer fragte, nachdem er ihm die Hand geschüttelt hatte: «Und welchen Konzern vertreten Sie?»
«Vishram», antwortete der Verwalter.
Als wäre ihm der Name ein Begriff, nickte der Mann wissend. «Guter Konzern. Gute Arbeit, die ihr Jungs da leistet.»
Dann wurde der Verwalter zu einem der Tische geführt, wo er neben einem pummeligen, unglücklichen Teenager im Goldsakko zu sitzen kam, von dem er annahm, dass es sich um das Geburtstagskind handelte.
Der Gastgeber sprach in ein schnurloses Mikrofon.
«Ich danke Ihnen allen, dass Sie gekommen sind, um an der Geburtstagsfeier meines Sohnes teilzunehmen. Die Gemeinschaft, der wir angehören, die Gemeinschaft der Bauherren und Bauunternehmer, ist für ihren Zusammenhalt bekannt, und dass Sie alle da sind, zeigt, dass dieser Zusammenhalt auch weiterhin besteht.» (Vereinzelter Applaus.) «Ich werde mich noch persönlich bei jedem von Ihnen bedanken. Aber zunächst habe ich die Ehre, Ihnen, als besondere Überraschung, einen Mann vorzustellen, der in uns allen Erinnerungen weckt: den Händler der Träume höchstpersönlich.»
Musik plärrte aus den Lautsprechern. Zum rhythmischen Klatschen der Zuschauer erhob sich ein Mann im grauen Anzug von einem der Tische und trat vor die Buffettafel, ein ehemals berühmter Schauspieler, mittlerweile in den Fünfzigern, der inzwischen als Berufsgast auf Geburtstagsfeiern und Hochzeiten auftrat. Mit einem gezwungenen Lächeln machte er mit erhobener rechter Hand ein paar Schritte. Ein Mädchen im roten Kleid gesellte sich hinzu, und einige Gäste pfiffen. Eine Handykamera blitzte auf.
Wieder am Tisch zurück, war der Star außer Atem, wirkte dickbäuchigund plötzlich um zehn Jahre gealtert. Ein Gast fragte nach einem Autogramm; der Filmstar kam dem Wunsch auf einer Serviette nach.
Plötzlich flog die Serviette vom Tisch. Der Bauherr hatte einen Hustenanfall.
Der Filmstar war jede Rupie wert, die er für einen solchen Auftritt verlangte; er legte seine Hand auf die Shahs und grinste, als wäre nichts vorgefallen.
«Man nennt mich einen Traumhändler, das weiß ich schon. Aber was bin ich denn in Wirklichkeit? Nur ein kleiner Traumhändler neben einem ganz großen.» Er zeigte auf den Bauherrn, der sich das Gesicht mit dem Hemdsärmel abwischte.
«Wenn sie aus dem Kino kommen, werfen die Leute ihre Eintrittskarten wieder fort, aber Ihr Name prangt für immer auf dem Gebäude. Er wird ein Teil des Familiennamens. Ich bin ein Hiranandani-Towers-Mann. Er ist ein Raheja-Complex-Mann.»
Der Bauherr schluckte die Spucke hinunter und wandte sich dann an den Verwalter.
«Und wie steht’s mit
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