Letzter Mann im Turm - Roman
Ihnen, Mr Kothari? Werden Sie nach dem 3. Oktober ein Raheja-Mann oder ein Hiranandani-Mann werden? Oder haben Sie vor, Ihr ganzes Geld für teure Laster auszugeben?»
Der Verwalter, der eine Platte mit Hammelkebab gemustert hatte, drehte sich um. «Meine Laster sind Sandwichs und Kricket. Fragen Sie meine Frau.»
Gelächter. Der Bollywood-Star klatschte in die Hände. «Meine auch.»
Was noch mehr Gelächter hervorrief.
«Was
genau
machen Sie denn?», fragte Shah.
«Geschäfte», erwiderte Kothari.
Der Bauherr hustete wieder. Kothari gab ihm eine Serviette und sagte: «Ich habe in Holz gemacht. Jetzt vergnüge ich mich mit ein paar Anleihen, ein paar Aktien. Ich habe keine Laster, aber …», Kothari holte Luft und drückte den Brustkorb heraus, als ließediese Aufmerksamkeit seine Persönlichkeit anschwellen, «… ich habe tatsächlich ein Geheimnis. Ich ziehe ab dem 3. Oktober nach Sewri.»
Shah, der sich die Lippen mit der Serviette abwischte, musste es den anderen erklären.
«Bei den meisten Sanierungsvorhaben wird den Bewohnern, wie Sie wissen, ein Anteil am neuen Gebäude angeboten. Im Fall des Shanghai wird das neue Haus allerdings hochluxuriös. Eine Mischung aus Rajasthan-Stil und Neogotik mit einem Touch Modernität. Mit einem Garten davor samt Springbrunnen. Jugendstil. Jede Wohnung wird 20 Millionen und mehr kosten. Die derzeitigen Bewohner haben selbstverständlich die Möglichkeit, sich ins Shanghai einzukaufen, aber es wird besser für sie sein, wenn sie woanders hinziehen.»
Dann wandte er sich an den Verwalter. «Sewri? Warum nicht Bandra oder Andheri? Jetzt hätten Sie doch das Geld dafür.»
«Die Flamingos, Sir», sagte der Verwalter. «Sie wissen doch?»
Natürlich
wusste
es Shah. Im Winter ließen sich in Sewri Flamingos nieder, Zugvögel, und Vogelliebhaber kamen mit ihren Ferngläsern zur Beobachtung. Aber verstehen konnte er es nicht.
«Sind Sie hier geboren, Mr Shah?», fragte der Verwalter.
«Ich bin in Krishnapur in Gujarat geboren. Aber ich bin ein stolzer Steuerzahler und Einwohner Mumbais.»
«So habe ich es nicht gemeint», sagte der Verwalter schnell. «Ich habe nichts gegen Zugezogene. Ich meinte damit, dass alle von Ihnen hier am Tisch in Indien geboren wurden. Richtig?»
«Natürlich.»
«Ich nicht. Ich nicht.» Der Verwalter lächelte. «Ich bin in Afrika geboren.»
Sein Vater, der von einem in Afrika geborenen Vetter von Jamnagar nach Kenia gelockt worden war, hatte in den 50er-Jahren in Nairobi einen Lebensmittelladen geführt. Das Geschäft florierte, sein Sohn wurde geboren. Nun sprach Kothari Ashvin von Dingen,die er selbst seiner Frau noch nie erzählt hatte. Von einer afrikanischen Dienerin, die eine große Porzellanschüssel abtrocknete und sie dann auf einen Tisch mit einem blauen Tischtuch stellte; von einem Markt in Nairobi, wo sein Vater ein bedeutender Mann war; und dann noch von einer Erinnerung, die in seinem Gedächtnis wie eine rosa Flamme loderte.
Flamingos. Ein ganzer Schwarm.
Er war noch nicht fünf gewesen, da hatte man ihn aufs Land zu einem See voller wilder rosafarbener Vögel mitgenommen. Sein Vater hatte ihm die Hände unter die Achseln geschoben und ihn hochgehoben, damit er bis zum Horizont sehen konnte. Die Flamingos flogen alle empor, und über dem Kopf seines Vaters schwebend, hatte er geschrien.
Shah hörte zu. Der Händler der Träume hörte zu. Kellner versammelten sich um den Tisch.
Der Verwalter fühlte etwas, das er nur einmal in seinem Leben gefühlt hatte, als er bei einem Gedichtwettbewerb als vierzehnjähriger Schüler die berühmten Zeilen aus dem
Ramayana
rezitiert hatte –
Tut, wie Euch beliebt, böser König,
Ich weiß Gut von Böse zu unterscheiden,
Und werde dir niemals folgen,
sprach der tugendsame Dämon Maricha,
als ihm der Herrscher von Lanka befahl
Ramas Frau zu stehlen –
und zwar so vollkommen rezitiert hatte, dass das gesamte Publikum, selbst sein Vater, aufgestanden war und ihm applaudiert hatte. Nun verspürte er den gleichen Schimmer um den kahlen Kopf; das über die Glatze gekämmte Haar fühlte sich an wie ein Lorbeerkranz.
«Und dann?», fragte Shah. «Was geschah mit Ihrem Vater?»
Kothari lächelte.
«Er fand heraus, dass die Afrikaner erfolgreiche Inder nicht mögen.»
Als er acht Jahre alt war, gab es Drohungen gegen ihr Geschäft, und sein Vater verkaufte es für einen Apfel und ein Ei und kehrte nach Jamnagar zurück, um dort in einem armseligen Laden voller Mungobohnen
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