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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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in Hand das Hotel betreten und dem Kellner sagen: «Ein Tisch in Sea Lounge, bitte.» («Der Sea Lounge», korrigierte sie Mr Puri.) Dann würden sie sich hinsetzen und sagen: «Wir würden gerne einen Kaffee trinken.» Alle würden sich gut benehmen, besonders Ramu, der sich nicht übers Zahnfleisch reiben, sabbern oder mit den Beinen schlenkern würde. Vielleicht würde ein Filmstar hereinkommen. Nachdem sie die Rechnung beglichen hätten (Hunderte und Hunderte von Rupien), würden sie diese als Souvenir behalten.
    Mr Puri, der protestieren wollte, schwieg.
Warum nicht,
dachte er. Andere taten es auch.
    Zwei scharfe Finger kratzten an seinem Bein, ein bettelndes Kind. Er fühlte sich schuldig wegen seiner Taj-Phantasie und gab dem Kind zwei Rupien.
    «Nörgel jetzt nicht deswegen an mir rum», sagte er und erwartete das Schlimmste von seiner Frau.
    «Warum sollte ich.»
    «Seit fünfundzwanzig Jahren habe ich Bettlern immer etwas geben wollen. Schon bei einer Rupie wurdest du sauer.»
    Das war zwar eine Verleumdung, aber sie ließ die Sache auf sich beruhen. Wenn es Mr Puri glücklich machte. Auch er hatte in seinem Leben schon genug gelitten.
    Es fing an zu regnen. Sie flitzten zu einer Rikscha; Mr Puri und der Junge stiegen zuerst ein, dann folgte seine Frau, die den Knoten in ihrem Sari löste.

25. JUNI
    Das Ende der Welt. Während die Sonne untergeht, kühlt sie sich ab und wird zu einem Roten Riesen und dann dehnt sie sich und dehnt sich, bis sie alle Planeten ihres Systems, einschließlich der Erde, verschluckt hat.
    An dieser Stelle gehen die Deckenlichter aus, um es dramatischer zu machen. Im Schein des Lampenlichts werden Schatten an die Wand geworfen.
    Die Vorbereitungen für die heutige Nachhilfestunde waren getroffen. Um die noch verbleibenden zwei Stunden totzuschlagen, griff Masterji nach
Der Weg der Seele nach dem Tode
und nahm einen erneuten Anlauf, das Buch zu Ende zu lesen.
    Er folgte dem Flug der Erleuchtung
atmas
über das siebte und letzte Meer seines Nachlebens, hinter dem die Gipfel schneeiger Berge schimmerten. Weitere zehntausend Jahre der Reinigung warteten hier auf sie.
    Er schloss die Augen. Im Alter von sechzehn, als seine Altersgenossen Kricket im
maidan
gespielt oder Collegestudentinnen nachgejagt hatten, hatte Masterji eine «spirituelle» Phase gehabt. Er hatte seine Nachmittage damit verbracht, Dr. Radhakrishnans Schriften über hinduistische und buddhistische Philosophie zu lesen, Übungen nach einer antiquarischen Ausgabe von BKS Iyengars
Yoga im Licht
zu machen und sich selbst Sanskrit beizubringen. Diese «spirituelle» Phase endete in jener Nacht auf dem Friedhof, als er zusah, wie der Leichnam seines Vaters verbrannte:
Das ist das ganze Leben.
Das ist alles. Nach dem Tod seines Vaters zog er zu einem Onkel nach Mumbai und ließ Dr. Radhakrishnan und BKS Iyengar hinter sich. Bombay war eine andere Welt, und er war hierhergekommen, um ein anderer Mensch zu werden.Nun kam es ihm seltsamerweise so vor, als hätte er seine vierzig Jahre in Bombay genau so verbracht, wie es die Hindu-Philosophen vorgeschrieben hatten:
Wie eine Lotosblüte auf einem schmutzigen Teich, so sei in der Welt, aber nicht von dieser Welt.
Jahrzehntelang hatte ihn nichts zum Weinen gebracht. Nicht einmal der Tod seiner Frau. War er wirklich traurig, dass sie gestorben war? Er wusste es nicht. Die Injektionsnadel der Außenwelt war nie durch seine Epidermis gedrungen.
    Er hörte, wie etwas auf den Boden fiel, und stellte fest, dass es sein Buch war. Ich bin eingeschlafen. Mitten am Tag.
    Als Erwachsener hatte er sich kein einziges Mal diesen Luxus gegönnt, nicht einmal, wenn er krank war; er hatte seine Frau und seine Tochter ausgeschimpft, wenn er sie bei einem Nachmittagsschläfchen ertappt hatte, und seinen Sohn bestraft, indem er ihm mit einem langen Stahllineal auf die Fingerknöchel geschlagen hatte. Mit einer gewaltigen Willensanstrengung durchbrach er die auf ihm lastende Schläfrigkeit und stand auf.
    Im Wohnzimmer drehte er den Wasserhahn des Waschbeckens auf, um sich das Gesicht mit kaltem Wasser zu waschen, aber das übliche Getröpfel war vollständig versiegt.
    Wie konnte es sein, dass er, mitten in der Regenzeit, kein Wasser in seinem Wohnzimmer hatte? Er schlug mit der Faust auf den Wasserhahn.
    Wie um ihn zu verspotten, kamen aus dem Treppenhaus die Worte: »By the rivers of Bab-y-lon, where we sat dowwwwwn …«
    Das Lied war auf Englisch, und die Stimme klang tief, Ibrahim Kudwa, auf

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