Letzter Tanz - Lincoln Rhyme 02
Vater hatte mich gerade enterbt...«
»Tatsächlich?«
»Ja. Wie in einer richtigen Seifenoper, aber darüber möchte ich jetzt nicht sprechen. Jedenfalls, als Ed und ich entlassen wurden, waren wir völlig pleite und mußten jeden Penny sparen, um unsere eigene Charterfirma zu gründen. Aber eines Abends sagte er: >Laß uns fliegen.< Also borgten wir uns diese alte Norseman, die auf dem Flugfeld stand. War 'ne robuste Maschine. Großer luftgekühlter Drehkolbenmotor... Mit so einer Maschine kann man wirklich alles machen. Also, ich saß auf dem linken Sitz und hatte uns auf etwa 6000 Fuß hochgebracht, als er mich plötzlich küßte. Er ruckelte am Steuerknüppel und signalisierte mir damit, daß er nun übernehmen wollte. Ich überließ ihm das Steuer. Er sagte: >Perce, jetzt bekommst du doch noch deinen Diamanten.«
»Wie das?« fragte Sachs.
Percey lächelte. »Er drückte den Schubhebel bis zum Anschlag und zog den Steuerknüppel ganz zurück. Die Nase des Flugzeugs zeigte steil nach oben.« In Perceys Augen standen nun wieder Tränen. »Für einen Augenblick, bevor er in das Seitenruder trat und wir über die Seite abkippten, blickten wir genau in den Nachthimmel. Er beugte sich zu mir und sagte: >Such dir einen aus. Alle Sterne der Nacht - such dir einen aus<.« Percey senkte ihren Kopf, atmete tief durch. »Alle Sterne der Nacht...«
Nach einem kurzen Augenblick wischte sie sich die Augen am Ärmel ab und wandte sich wieder ihrer Maschine zu. »Glauben Sie mir, Sie brauchen sich nicht die geringsten Sorgen zu machen. Lincoln ist ein faszinierender Mann, aber Ed war der einzige, den ich je gewollt habe.«
»Da ist mehr an der Geschichte dran, als Sie ahnen«, seufzte Sachs. »Sie erinnern ihn an jemanden. An jemanden, den er geliebt hat. Sie tauchen auf, und plötzlich ist es wieder so wie damals mit ihr.«
Percey zuckte die Achseln. »Wir haben ein paar Gemeinsamkeiten. Wir verstehen uns. Na und? Das bedeutet doch nichts. Schauen Sie doch einfach mal hin, Amelia. Rhyme liebt Sie.«
Sachs lachte bitter. »Oh, das glaube ich nicht.«
Percey blickte sie noch einmal vielsagend von der Seite an und begann dann, die Ausrüstungsteile genauso sorgsam in Kisten zu verpacken, wie sie zuvor mit den Werkzeugen und dem Computer umgegangen war.
Roland Bell schlenderte herein und prüfte dabei jedes Fenster und jeden Schatten.
»Alles ruhig hier drin?« fragte er.
»Kein Pieps.«
»Hab 'ne Nachricht, die ich weiterleiten soll. Die Jungs von U.S. Medical sind gerade vom Westchester Hospital aufgebrochen. Die Ladung ist in einer Stunde hier. Ich hab einen Wagen mit meinen Leuten, der sicherheitshalber hinter ihnen herfährt. Aber machen Sie sich keine Sorgen, daß sie etwas davon merken und sich das schlecht aufs Geschäft auswirkt. Meine Jungs sind erste Sahne. Die beiden werden nie erfahren, daß sie verfolgt wurden.«
Percey warf einen Blick auf ihre Uhr. »Okay.« Sie sah Bell an, der mit dem unruhigen Blick einer Schlange, die einen Mungo anstarrt, das offene Turbinengehäuse betrachtete. Sie fragte: »An Bord brauchen wir doch wohl keinen Babysitter?«
Bell seufzte laut auf. »Nach allem, was in dem sicheren Haus passiert ist, lasse ich Sie nicht aus den Augen«, erklärte er mit tiefer, ernster Stimme. Er sah bereits jetzt flugkrank aus. Bell schüttelte den Kopf, ging dann zur Tür und verschwand in der kühlen Nachmittagsluft.
Den Kopf tief im Maschinengehäuse, sagte Percey mit hohler Stimme: »Wenn ich mir Rhyme und Sie so ansehe, würde ich dem Ganzen nicht mehr als eine fünfzigpfozentige Chance geben.« Sie zog den Kopf hervor und blickte zu Sachs herab. »Aber andererseits hatte ich vor ewigen Zeiten diesen Fluglehrer.«
»Und?«
»Wenn wir Zweimotorige flogen, dann machte er oft ein Spiel. Er schaltete einen Motor ganz aus, drehte den Propeller flach und gab uns dann den Befehl zum Landen. Viele Fluglehrer schalten beim Höhenflug mal für ein paar Minuten aus, um zu sehen, wie du damit zurechtkommst. Aber sie schalten vor der Landung immer wieder ein. Dieser Fluglehrer aber, oh, oh... Er ließ uns mit nur einem Motor landen. Viele Schüler haben ihn gefragt, ob das nicht riskant sei. Und seine Antwort lautete immer: >Gott gibt dir keine Garantien. Manchmal muß man auch was riskieren<«
Percey zog die Klappe der Haube herunter und zog sie fest. »Okay, alles fertig. Das verdammte Flugzeug ist tatsächlich startklar.« Sie streichelte über die glänzende Außenhaut wie ein Cowgirl, das den
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