Letzter Tanz - Lincoln Rhyme 02
Objektträger.
»Okay«, stellte Cooper fest. »Wir haben Fasern.«
Wenige Sekunden später betrachtete Rhyme die kleinen Stränge auf seinem Bildschirm.
»Was denkst du, Mel? Papier, stimmt's?«
»Ja.«
Rhyme befahl dem Computer, die Bilder vom Mikroskop langsam auf und ab zu fahren. »Sieht nach zwei verschiedenen Arten aus. Die einen sind weiß oder cremefarben. Die anderen haben einen leichten Grünstich.«
»Grün? Vielleicht Gelb?« schlug Sellitto vor. »Vielleicht.«
»Hast du genug davon, um ein paar mit Gas zu checken?« fragte Rhyme. Der Gaschromatograph würde die Fasern zerstören.
Cooper erklärte, daß die Proben ausreichten, und machte sich gleich an die Arbeit.
Er las vom Computerschirm ab. »Keine Baumwolle. Auch kein Sodium und keine Schwefelverbindungen wie Sulfat oder Sulfit.« Das waren Chemikalien, die normalerweise dem Papierbrei zugesetzt wurden, um hochwertiges Papier herzustellen.
»Es ist billiges Papier. Und die Farbe ist wasserlöslich. Es ist keine auf Öl basierende Tinte dabei.«
»Also«, verkündete Rhyme, »ist es kein Geld.«
»Vermutlich Recyclingpapier«, schloß Cooper. Rhyme vergrößerte das Bild stärker. Die Matrix war riesig, aber die Details nicht mehr zu erkennen. Er war für einen Moment frustriert und wünschte, er könnte direkt durch das Mikroskop sehen. Es ging doch nichts über die Klarheit einer feinen optischen Linse. Dann fiel ihm etwas auf.
»Was sind das für gelbe Flecken da, Mel? Klebstoff?« Der Techniker sah kurz durch das Mikroskop und bestätigte: »Stimmt. Sieht aus wie Kleber von Briefumschlägen.«
Also hatte der Tänzer den Schlüssel möglicherweise in einem Umschlag erhalten. Aber was bedeutete das grüne Papier? Rhyme hatte nicht die geringste Ahnung.
Sellitto klappte sein Mobiltelefon zusammen. »Ich hab bei Hudson Air angerufen und mit Ron Talbot gesprochen. Er hat ein paar Anrufe getätigt. Ratet mal, wer den Hangar gemietet hat, in dem der Tänzer gewartet hat.«
»Phillip Hansen«, schlug Rhyme vor. »Jawohl.«
»Langsam kriegen wir die Beweise zusammen«, jubelte Sachs. Stimmt, dachte Rhyme. Allerdings war es nicht sein Ziel, der Staatsanwaltschaft den Tänzer mit wasserdichten Beweisen auszuhändigen. Er wollte den Kopf des Tänzers auf einem Silbertablett.
»Noch irgend etwas?«
»Nichts.«
»Okay, dann laßt uns zum nächsten Tatort übergehen. Das Versteck des Heckenschützen. Er stand dort ziemlich unter Druck. Vielleicht wurde er unaufmerksam.«
Aber natürlich war er nicht achtlos gewesen.
Sie fanden keine Patronenhülsen.
»Das erklärt es«, fluchte Cooper, der die Spuren unter dem Mikroskop untersuchte. »Baumwollfasern. Er hat ein Tuch benutzt, um die Hülsen aufzufangen.«
Rhyme nickte. »Fußspuren?«
»Nichts.« Sie erklärte, daß der sorgsame Tänzer um die schlammigen Stellen herumgelaufen und immer auf dem Gras geblieben war, selbst als er zum Schluß zu dem Catering-Lieferwagen flüchtete.
»Wie viele Fingerabdrücke haben Sie gefunden?«
»Keine im Versteck des Heckenschützen«, erklärte Sachs. »Fast zweihundert in den beiden Lieferwagen.«
Mit AFIS - dem Automatisierten Fingerabdruck Identifizierungssystem, das die Datenbanken von Militär, Polizei und Behörden im ganzen Land miteinander verband -hätten sie selbst so viele Abdrücke überprüfen lassen können. Allerdings hätte es eine ganze Weile gedauert. Aber Rhyme war zu besessen von seinem Wunsch, den Tänzer zu schnappen, um jetzt einen AFIS-Antrag zu stellen. Sachs berichtete, daß sie in den Lieferwagen auch seine Handschuh-Abdrucke gefunden hatte. Die Fingerabdrücke in den Wagen stammten also mit Sicherheit nicht vom Tänzer.
Cooper leerte den Inhalt des Plastikbeutels auf ein Untersuchungstablett. Zusammen mit Sachs sah er es sich an. »Dreck, Gras, Steine... hier ist etwas. Kannst du es sehen, Lincoln?« Cooper präparierte einen neuen Objektträger und beugte sich über sein Mikroskop.
»Haare«, verkündete er. »Drei, vier, sechs, neun... Dutzende. Sieht wie eine durchgängige Medulla aus.«
Die Medulla ist ein Kanal in der Mitte bestimmter Haare. Bei Menschen ist sie entweder nicht vorhanden oder fragmentiert.
Eine durchgängige Medulla bedeutete, daß es sich um Tierhaare handelte. »Was denkst du, Mel?«
»Ich werde sie mir mal im Rasterelektronenmikroskop ansehen.« Cooper stellte die Vergrößerung auf 1500fach und drehte an den Knöpfen, bis eines der Haare genau in der Mitte des Bildschirms lag. Es war ein
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