Letzter Tanz - Lincoln Rhyme 02
einer der Kaffeebüchsen. »Ich werde... ich weiß auch nicht... irgendwie nervös.« Er fand eine Pille und schluckte sie. »Das ist so ein blauer Teufel. Gibt dir ein schönes Gefühl. Macht, daß du dich ganz wohlig fühlst. Willst du eine?«
»Hm...«
Soldat, trinken Männer gelegentlich?
Sir, ich weiß es nicht, Sir.
Nun, das tun sie. Los, nimm eine.
»Ich glaube nicht, daß ich...«
Nimm einen Drink, Soldat! Das ist ein Befehl.
Nun, Sir...
Du bist doch kein kleines Mädchen, Soldat? Oder hast du etwa
Titten?
Ich... Sir, das habe ich nicht, Sir. Dann trink, Soldat.
Sir, ja Sir.
Jodie wiederholte: »Willst du eine?«
»Nein«, flüsterte Stephen.
Jodie schloß die Augen und lehnte sich zurück.
»Zehn...tausend...« Nach einer Weile fragte er: »Du hast ihn
umgebracht, stimmt's?« »Wen?« »Den Bullen da unten. Hey, willst du einen Orangensaft?« »Diesen Agenten im Keller? Vielleicht habe ich ihn umgebracht.
Ich weiß es nicht. Darum ging es auch gar nicht.«
»War es schwer, das zu tun? Ich will dich nicht kritisieren, ich bin nur neugierig. Willst du Orangensaft? Ich trinke den literweise. Die Pillen machen durstig. Dein Mund wird ganz trocken davon.«
»Nein.« Die Dose sah schmutzig aus. Vielleicht waren Würmer darüber gekrochen. Vielleicht sogar hinein. Er würde einen Wurm mit trinken und es nie erfahren... Ihn schauderte. »Hast du hier fließendes Wasser?«
»Nein. Aber ich habe ein paar Flaschen Mineralwasser. Hab eine
Kiste Poland Spring beim A&P-Supermarkt geklaut.« Kribbelig. »Ich muß mir die Hände waschen.« »Ach ja?« »Um das Blut runterzukriegen. Es ist durch die Handschuhe ge
sickert.« »Ach so. Es ist gleich hier drüben. Warum trägst du die ganze Zeit Handschuhe? Wegen der Fingerabdrücke?« »Das ist richtig.«
»Du warst in der Armee, stimmt's? Ich hab es gleich gemerkt.«
Stephen wollte schon lügen, änderte aber plötzlich seine Meinung. Er sagte: »Nein. Ich war nur beinahe in der Armee. Das heißt bei den Marines. Ich wollte mich verpflichten. Mein Stiefvater war ein Marine, und ich wollte wie er dazugehören.«
»Semper Fi - die Ledernacken.«
»Genau.«
Schweigen trat ein, und Jodie schaute ihn erwartungsvoll an. . »Was ist passiert?«
»Ich habe mich gemeldet, aber sie wollten mich nicht aufnehmen.«
»Schön blöd. Die wollten dich nicht? Du würdest einen großartigen Soldaten abgeben.« Jodie sah Stephen von Kopf bis Fuß an und nickte dabei bekräftigend. »Du bist stark. Tolle Muskeln. Ich -« er lachte - »ich kriege kaum Bewegung, außer wenn ich vor Niggern oder Kids weglaufe, die mich ausrauben wollen. Und sie kriegen mich trotzdem jedesmal. Du siehst auch gut aus. Genau wie ein Soldat aussehen sollte. Wie ein Soldat im Kino.«
Stephen spürte, wie das kribbelige Gefühl verschwand und, mein Gott, wie er rot wurde. Er starrte zu Boden. »Nun, ich weiß
nicht.«
»Na komm. Ich wette, deine Freundin findet, daß du toll aussiehst.«
Da war wieder das kribbelige Gefühl. Würmer begannen zu
krabbeln.
»Nun, ich...«
»Hast du keine Freundin?«
Stephen fragte: »Wo ist denn nun dieses Wasser?«
Jodie deutete auf die Kiste Poland Spring. Stephen öffnete zwei Flaschen und begann, seine Hände zu waschen. Normalerweise haßte er es, wenn andere Menschen dabei waren. Wenn jemand ihm beim Waschen zusah, blieb das kribbelige Gefühl, und die Würmer verschwanden nie. Doch aus irgendeinem Grund störte es ihn nicht, daß Jodie ihn beobachtete.
»Keine Freundin, hm?«
»Zur Zeit nicht«, sagte Stephen vorsichtig. »Es ist nicht so, als wäre ich ein Homo oder so was, für den Fall, daß du dich wunderst.«
»Hab ich gar nicht.«
»Von so was halte ich nichts. Aber ich denke auch nicht, daß mein Stiefvater recht hatte - daß Aids das Mittel Gottes ist, um die Homosexuellen zu beseitigen. Denn wenn es das wäre, was Gott wollte, würde er es klüger anstellen und sie einfach loswerden, die Schwulen, meine ich. Und nicht ein Risiko schaffen, daß auch normale Leute krank werden können.«
»Das macht Sinn«, stimmte Jodie in seinem vernebelten Zustand zu. »Ich hab auch keine, eine Freundin, meine ich.« Er lachte bitter. »Nun, wie könnte ich auch? Stimmt's? Was hab ich schon zu bieten? Ich sehe nicht gut aus wie du, habe kein Geld... Ich bin nur ein verdammter Junkie, mehr nicht.«
Stephen spürte, wie sein Gesicht brannte, und er wusch fester.
Schrubb die Haut, ja, ja, ja...
Würmer, Würmer, verschwindet...
Die Augen auf
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