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Letzter Weg

Letzter Weg

Titel: Letzter Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Norman
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Lucia.

16.
    Kein mörderischer Fremder tauchte plötzlich wie aus dem Nichts auf.
    Keine Zeugen meldeten sich trotz der Nachstellungen im Fernsehen auf WFOR , Univision und Telemundo.
    Keine Anrufe, ob anonym oder nicht, gingen bei der Hotline der Polizei, dem Herald oder einem der Lokalsender ein.
    Nicht ein Zoll mehr an gemeinsamer Grundlage zwischen den Morden an Sanchez und Muller. Carmelita Sanchez war eine unscheinbare, freundliche Mutter von vier Kindern gewesen. Sie hatte sich mit Schneidern Geld verdient, wenn sie nicht geputzt oder sich um ihre Familie gekümmert hatte. Auch gab es keinerlei Informationen über die Vergangenheit oder das Privatleben des Hausmeisters, die die Ermittlungen des Miami Beach Police Departments in irgendeiner Weise vorangebracht hätten. Es gab keine Hinweise auf Drogenkonsum, obwohl es bei all den Rückständen in der Gerichtsmedizin eine Weile dauern würde, bis ein vollständiger toxikologischer Bericht vorlag. Und es gab keine sexuellen Beziehungen, ob kurze Zeit oder lange zurückliegend, ob hetero- oder homosexuell – jedenfalls nicht, soweit jemand wusste. Und obwohl man sich einig war – sowohl in seinem Fitnessstudio wie auch an der Uni –, dass Muller sehr auf seinen Körper geachtet habe, so war doch niemand der Meinung, dass er in irgendeiner Form besessen gewesen wäre.
    Das Leben eines Opfers zu durchwühlen war für Sam ein Aspekt seiner Arbeit, mit dem er sich nie hatte anfreunden können. Sich durch alles Mögliche zu graben, von Kontoauszügen bis zu dreckiger Unterwäsche, ekelte ihn an, egal wie wichtig es für die Ermittlungen war.
    »Das ist Vergangenheitsfürsorge für das Opfer«, pflegte Martinez stets zu sagen, doch für Sam machte es die Sache nur noch schlimmer, besonders in einem Fall wie diesem, wo der Verstorbene tadellos gewesen zu sein schien.
    Nicht, dass irgendjemand es verdient hätte, dass man ihm die meisten Knochen im Gesicht zertrümmerte und die Kehle durchschnitt, egal was die- oder derjenige auch getan hatte. Es sei denn, es handelte sich um einen Kindermörder, musste Sam sich eingestehen – privat, nicht als Cop.
    Rudolph Muller schien Einzelgänger gewesen zu sein. Offenbar hatte er niemanden verletzt, niemanden verärgert und niemanden bestohlen oder sonst ein Verbrechen begangen. Dennoch hatte jemand ihm dieses Schreckliche angetan. Vielleicht war es ein zufälliger Mord gewesen; vielleicht war irgendeinem Psycho die Sicherung durchgebrannt, der dann den Erstbesten gekillt hatte, der ihm über den Weg gelaufen war, doch Sam bezweifelte es. Dafür hatte das Verbrechen zu viel Persönliches, zu viel blinde Wut. Allerdings handelte es sich wahrscheinlich nicht um ein Verbrechen aus Leidenschaft, denn die meisten Liebhaber, die in der Hitze des Augenblicks töteten, schreckten vor einer Verunstaltung des Gesichts zurück, eben weil sie noch Gefühle für das Opfer hegten.
    Dieses Verbrechen jedoch war brutal und gewalttätig gewesen.
    »Da steckte richtig Wut dahinter«, sagte Sam zu Martinez.
    »Es laufen eine Menge Spinner rum«, erklärte dieser.
    Verdammt viele Spinner, falls Carmelita Sanchez tatsächlich einem anderen Mörder zum Opfer gefallen sein sollte.
    Ein Gedanke, der auch nicht gerade dafür sorgte, dass Sam sich besser fühlte.

17.
    17. August
    Gregory Hoffman kam am Mittwochnachmittag zu einer weiteren Sitzung, eine halbe Stunde, nachdem Lucia Feierabend gemacht hatte.
    Als er zum ersten Mal zu Grace gebracht worden war, hatte er unter einer bis dato nicht diagnostizierten Dyslexie gelitten sowie einem drastischen Mangel an Selbstbewusstsein. All diese Probleme waren durch seine Marihuanasucht nur verstärkt worden, auch wenn es Monate gedauert hatte, bis er es sich eingestand.
    »Aber er ist noch ein Kind! «, hatte Annie Hoffman protestiert, als Grace ihr mit Gregorys Zustimmung die Nachricht überbracht hatte.
    Das beträfe nicht nur Gregory, sondern auch Tausende andere, hatte Grace der verzweifelten Mutter erklärt, Zehntausende, vermutlich mehr. In Großstädten vielleicht, hatte Annie argumentiert, aber nicht in Sunny Isles Beach, nicht in einem gebildeten, liebenden, jüdischen Haus, von wo der zwölfjährige Junge von seinem Vater zur Schule gefahren und von seiner Mutter abgeholt wurde. Nicht in einer Familie, wo der Junge sonntags in die Synagoge geschickt wurde, um dort für seine Bar-Mizwa zu studieren.
    Grace hatte nie herausgefunden, wann Gregs Sucht begonnen hatte oder wer ihm das Marihuana

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