Letzter Weg
konnte.
Womöglich würde es ihr helfen, mit Claudia zu reden, doch selbst in Seattle war es jetzt zu spät. Außerdem hatten sie erst vor ein paarTagen telefoniert, und Grace fühlte noch immer diese Nervosität bei ihrer Schwester. Und Claudia zusätzlich belasten – oder sich selbst – wollte sie nun wirklich nicht.
»Wo steckt Cathy nur, Woody?«, fragte sie den Hund, der sich zu ihren Füßen niedergelassen hatte.
Wahrscheinlich war sie bei Kez, überlegte sie und fragte sich, ob es das war, was sie so beunruhigte. Dann aber kam sie zu dem Schluss, dass sie genauso nervös wäre, wäre Cathy mit einem neuen Freund verschwunden.
Sie ging zum Telefon und streckte die Hand nach dem Hörer aus.
»Nein«, sagte sie laut. »Lass es.«
Vielleicht war das der Grund, warum Cathy nicht angerufen hatte. Vielleicht hatte sie, Grace, eine gewisse Unruhe ausgestrahlt, seit sie Kez zum ersten Mal gesehen hatte, und vielleicht war Cathy wütend darüber, oder vielleicht war sie auch nur unsicher, was ihre Neigung betraf, und noch nicht bereit, darüber zu reden.
Oder vielleicht gab es auch gar nichts, worüber sie hätte reden können.
Das Baby rührte sich.
»Schon gut, mein Süßer«, sagte Grace. »Deine Mom ist ein Nervenbündel.«
Mindestens zum einhundertsten Mal fragte sie sich, ob sie dazu bereit war, ob sie und Sam vielleicht zu alt dafür waren, denn neben der Freude war da noch sehr viel Verantwortung … und sehr viel Potential für Schmerz.
Jetzt gibt es kein Zurück mehr, sagte sie sich.
»Und das will ich auch gar nicht«, sagte sie dem Baby.
Und machte sich einen Tee.
Cathy rief um fünf nach sieben an.
»Ich habe ein schlechtes Gewissen«, sagte sie, »weil ich euch gestern Abend nicht angerufen habe.«
»Ja, das war untypisch für dich.« Grace schaffte es, sowohl ihre Erleichterung als auch ihren Zorn zu verbergen. »Wir haben uns Sorgen gemacht.«
Cathy sagte ihr, wie leid es ihr täte, und fragte dann nach den Hoffmans.
»Es muss furchtbar gewesen sein.«
»Sie sind sehr stark«, sagte Grace, »und sie haben eine Menge Leute um sich, die ihnen helfen.«
»Das ist gut«, erwiderte Cathy.
Grace wartete einen Augenblick. »Und wie sieht es bei dir aus? Alles klar?«, fragte sie dann.
Sie wartete darauf, dass Cathy ihr sagte, wo sie die Nacht verbracht hatte, oder zumindest, wo sie heute Morgen war.
Wenigstens war es ihr gelungen, nicht nachzubohren. Das wäre der schnellste Weg gewesen, sie zu verlieren.
»Es geht mir gut«, antwortete Cathy.
Mehr nicht.
30.
Cathy und Kez hatten am gestrigen Spätnachmittag Bücher bei B. Dalton am CocoWalk gekauft, als Cathy Saul und Terri gesehen hatte, die aus einer Ausstellung afrikanischer Tierfiguren in einer Galerie an der Grand Avenue kamen. Sie hatten kurz miteinander geredet, und Saul hatte vorgeschlagen, gemeinsam einen trinken zu gehen. Cathy wollte gerade einwilligen, als sie Kez’ Gesichtsausdruck sah, und so hatte sie sich rasch eine Entschuldigung ausgedacht, und Saul hatte verständnisvoll gegrinst, und alle waren ihrer Wege gegangen.
»Tut mir leid«, hatte Kez einen Augenblick später gesagt. »Aber ich würde gern nach Hause. Mir war nicht nach Gesellschaft.«
Cathy hatte ihr einen raschen Blick zugeworfen. »Möchtest du, dass ich auch gehe?«
»Nein, ich möchte, dass du mit mir kommst«, hatte Kez gesagt.
Banyanbäume und Palmen standen auf den ungemähten Rasenflächen am Haus an der Matilda Street. Steinpfade führten vom Bürgersteig zu einem alten weißen verschalten Haus. Wackelig aussehende Stufen führten zu Kez’ Wohnung im zweiten Stock hinauf.
Nur einen Steinwurf von den teuersten Häusern in Coconut Grove entfernt und in Fußreichweite zum geschäftigen CocoWalk war die Zweizimmerwohnung dennoch bezahlbar, denn Kez hatte einen Deal mit der Eigentümerin gemacht, einer Künstlerin, die im Augenblick in Europa lebte.
»Ich habe ein paar Fotos von ihrer Arbeit gemacht, die ihr gefallen haben, und sie hat gesagt, sie würde sich freuen, wenn ich hier wohne und mich ums Haus kümmere, solange sie weg ist«, hatte Kez Cathy erzählt, während sie auf der Terrasse kalten Weißwein getrunken hatten. »Von Europa aus will sie eine Zeitlang auf die Bahamas. Es kann also noch Monate dauern, bis ich sie wiedersehe.«
»Vermisst du sie nicht?«
Kez war das Zögern in Cathys Stimme nicht entgangen. Sie lächelte. »Cathy, ich kenne sie doch kaum.«
»Ich hab damit nicht gemeint …« Cathy hatte
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