Letzter Weg
einfach nur lächerlich aussah. Maria betrachtete das als ausgesprochenen Bärendienst dem Kunden gegenüber.
Sie sah gerne einen perfekten oder zumindest guten Sitz, und es bereitete ihr Freude, die Kunden mit Hilfe von Kleidung attraktiver zu machen.
Am Donnerstagnachmittag war es besonders geschäftig bei Fratelli zugegangen, im Obergeschoss der Aventura Mall; doch trotz des hohen Kundenaufkommens war Maria jeder einzelne Verkauf oder Nichtverkauf deutlich im Gedächtnis geblieben – und besonders eine Kundin, die sie insgeheim »Eisschrank« getauft hatte.
Es war eine seltsame Frau gewesen. Sie hatte Jeans anprobiert, die ihr wie angegossen saßen, perfekt an der Taille, eng, aber nicht zu straff am Hintern, exakt die richtige Länge.
Maria hatte die Kundin angeschaut und gelächelt.
»Die steht Ihnen ausgezeichnet«, hatte sie gesagt.
Sie hätte noch mehr gesagt, wären da nicht die Augen gewesen.
Ein Blick, der einem das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Maria war froh gewesen, dass dieser Verkauf nicht zustande gekommen war.
29.
26. August
Wenn Cathy über Nacht fortblieb, rief sie üblicherweise an, um Grace und Sam wissen zu lassen, dass sie abschließen und zu Bett gehen konnten, ohne sich um sie Sorgen zu machen.
Donnerstagnacht war die Ausnahme gewesen. Kein Nachhausekommen, kein Anruf.
Kein Schlaf für Grace.
Sie hatte sich immer wieder gesagt, dass ihre Sorgen unbegründet seien, dass sie neurotisch sei, dass Cathy erwachsen sei und ausbleiben könne, wann immer sie wolle; aber das hatte nicht geholfen. Es passte einfach nicht zu ihrer sonst so umsichtigen Tochter.
Nicht nur Cathy hielt sie wach. Und auch nicht nur das Baby, das eine Weile getreten hatte, dann jedoch eingeschlafen war.
»Was ist los?«, fragte Sams Stimme um drei Uhr früh aus der Dunkelheit. »Alles okay?«
»Es geht mir gut.« Grace streichelte ihm über den Arm. »Schlaf weiter.«
Es brachte nichts, wenn sie beide wach blieben.
Grace hatte ihm schon von ihrem Gespräch mit Ryan erzählt, kaum dass sie das Haus der Hoffmans verlassen hatte, und Sam hatte kurz mit dem Jungen gesprochen. Dabei hatte er erfahren, dass dessen Nachname Harrison lautete. Er hatte dem Jungen seine Karte gegeben und gesagt, er solle am nächsten Tag Verbindung mit ihm aufnehmen, wenn er nicht wolle, dass er, Sam, zuerst mit seinen Eltern sprach.
»Ich bin sicher, dass er die Wahrheit gesagt hat und tatsächlich nicht bei Gregory gewesen ist«, hatte Sam auf dem Heimweg gesagt. »Deshalb habe ich auch keinen Grund gesehen, ihn sofort an die kurze Leine zu nehmen. Ich habe ihn lieber von Anfang an auf meiner Seite.«
Grace hatte geschwiegen.
»Woran denkst du?«, hatte Sam gefragt.
»Ich muss immer wieder daran denken, was Greg zu mir gesagt hat.«
»Das mit dem ›sehen‹?«
»Ja. ›Er hat mich gesehen‹, hat er gesagt.« Grace hatte geschaudert. »Plötzlich ergibt das alles einen Sinn, nicht wahr?«
»Falls Gregory Mullers Mörder gesehen hat, meinst du«, hatte Sam gesagt, »und falls der Killer ihn gesehen hat.«
»Denkst du nicht, dass er das gemeint hat?«
»Es ist gut möglich«, hatte Sam gesagt. »Aber es ist genauso wahrscheinlich, dass er damit gemeint hat, irgendjemand habe ihn beim Koksen am Strand gesehen.«
»Hätte ihm das denn solche Angst eingejagt?«
»Die Vorstellung, verhaftet zu werden, hätte ihn mit Sicherheit verängstigt«, hatte Sam erklärt, »und vielleicht auch die Aussicht, wieder in den Entzug zu gehen. Und vergiss nicht, dass der Junge zu dem Zeitpunkt wahrscheinlich total high war.« Er hatte nach ihrer Hand gegriffen und sie gedrückt. »Mach dich deswegen nicht verrückt, Liebling.«
Grace hatte ihr Bestes getan, und tatsächlich war ihr Abend ziemlich friedvoll verlaufen; aber nun lag sie hellwach im Bett, und all der Stress, all die Probleme und Fragen schienen sich zu einer einzigen großen Sorge zu verdichten, die sich einzig auf Cathy richtete.
Schließlich gab Grace es auf, schwang sich leise aus dem Bett, hörte, wie Sam sich bewegte, aber nicht aufwachte, und schlurfte aus dem Schlafzimmer und die Treppe hinunter.
Woody kam halb im Schlaf, aber schwanzwedelnd aus der Küche.
»Tut mir leid«, sagte Grace leise zu ihm. Sie bückte sich schwerfällig und streichelte ihm über den Kopf. Dann ging sie zum Herd und setzte einen Kessel auf.
Einer von Lucias Kamillentees würde ihr jetzt vielleicht helfen, obwohl sie bezweifelte, dass irgendetwas sie heute Nacht beruhigen
Weitere Kostenlose Bücher