Letzter Weg
innegehalten.
»Ich weiß, was du gemeint hast«, hatte Kez gesagt.
Das war der Augenblick gewesen, da alle Peinlichkeit verflogen war.
Cathy liebte die Wohnung, die spartanische Einrichtung. Die Möbel passten hervorragend zu den Postern von Florence Griffith Joyner und anderen Sportheldinnen an den Wänden, dazwischen ein vergrößertes Schwarzweißfoto von Kez, wie sie triumphierend über die Ziellinie stürmte.
»Ist hier auch irgendwas von dir?«, erkundigte sich Cathy.
»Es gibt nichts, das es wert wäre, aufgehängt zu werden.«
»Ich wette, du bist eine großartige Fotografin«, sagte Cathy. »Du hast gesagt, du hättest die Wohnung hier bekommen, weil die Besitzerin deine Fotos gemocht hat.«
Kez zuckte mit den Schultern. »Mir gefällt das Zeug besser.«
»Ist das dein Vater?« Cathy schaute sich das einzige andere Foto an, das Kez zeigte, im Alter von fünf oder sechs. Sie stand neben einem lächelnden blonden Mann, der die Arme um sie gelegt hatte.
»Das war Joey, ja.«
»Er sah gut aus.« Cathy schaute sich das Foto genauer an, sah Kez’ scharfe, spitze Nase im Gesicht des Mannes und dass ihre natürliche Haarfarbe der ihres Vaters entsprach. »Gibt es auch Bilder von deiner Mom?«
»Nein«, antwortete Kez.
Cathy erinnerte sich an die grässliche Geschichte von Joeys Herzinfarkt und daran, dass Kez gesagt hatte, ihre Mutter sei zu der Zeit außer Haus gewesen. Seitdem hatte sie nicht mehr darüber gesprochen. Was danach geschehen war, wusste Cathy also nicht. Kez’ Mom musste verzweifelt gewesen sein; vielleicht hatte sie ihre Tochter sogar dafür verachtet, weil sie die Szene beobachtet hatte – die Menschen waren nun mal kompliziert; das hatte sie selbst oft genug erlebt.
Cathy kam zu dem Schluss, dass sie besser nicht weiterfragte.
Solch eine Nacht hatte sie noch nie erlebt.
Sie hatten Pizza gegessen und dazu reichlich Weißwein getrunken und ein wenig Pot geraucht, und Kez hatte Cathy die Nägel lackiert: schwarz und gelb wie kleine Bienen. Schließlich waren sie gemeinsam ins Bett gefallen und eingeschlafen.
Und selbst, als sie während der Nacht einmal aufgewacht waren, war es nur um Kameradschaft, Wärme und Trost gegangen. Mehr nicht.
»Ist schon okay«, hatte Kez zu ihr gesagt. »Ich weiß, dass du dir nicht sicher bist.«
Cathy war froh über die Dunkelheit gewesen. Sie hatte nicht gewusst, was sie darauf hätte erwidern sollen.
»Ich würde dich nie zu etwas drängen, das du nicht willst«, hatte Kez erklärt.
Sie das sagen zu hören war wunderbar gewesen. Es hatte Cathy entspannt und glücklich gemacht, denn es bestätigte nicht nur, dass Kez sie wollte, es zeigte auch, dass sie in der Tat die rücksichtsvolle und geduldige Person war, für die Cathy sie gehalten hatte.
Nur dass jetzt – genau jetzt – an diesem Freitagmorgen, als Cathy zu Hause angerufen und mit Grace gesprochen hatte, Kez im Raum gewesen war. Und vielleicht hatte sie den Hauch von Anspannung in dem Gespräch bemerkt, denn kaum hatte Cathy aufgelegt, sah sie, dass etwas nicht stimmte, dass etwas sich verändert hatte.
»Ich glaube«, sagte Kez, »du solltest jetzt gehen.«
»Gehen?« Cathy war bestürzt.
»Ja«, sagte Kez. »Du brauchst Zeit zum Nachdenken.«
»Es gibt nichts, worüber ich nachdenken müsste«, entgegnete Cathy.
»Das glaube ich doch.« Kez blieb hart. »Du hast ein paar Dinge zu klären.«
Cathy erwiderte nichts darauf, aus Angst, das Falsche zu sagen.
»Wenn es um Selbstzweifel geht, kann ich ein Buch darüber schreiben«, sagte Kez. »Aber ich weiß, wer ich bin, Cathy, und ich weiß, dass ich lesbisch bin, und ich habe keine Probleme damit.« Sie lächelte eigenartig. »Und ich weiß, was und wen ich will.«
»Ich glaube …«
»Was glaubst du, Cathy?«
»Ich glaube, ich will dich«, sagte Cathy.
»Das ist schön«, entgegnete Kez, »aber es ist nicht genug. Nicht für mich und nicht für dich.«
»Was willst du, das ich tue?«
»Nimm dir die Zeit, die du brauchst. Denk nach. Kein Druck. Entscheide dich, was deine Gefühle für mich und eine lesbische Beziehung betrifft.« Kez’ Stimme hatte einen neuen, farblosen Unterton bekommen. »Ich bin nicht daran interessiert, ein Experiment zu sein.«
»Ich würde nie …« Erneut war Cathy bestürzt.
»Ja, ich nehme an, das würdest du wirklich nie«, sagte Kez, »jedenfalls nicht absichtlich.«
»Tut mir leid.« Cathy war nicht sicher, warum sie sich entschuldigte, aber Kez war verärgert, und das war schlimm
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